Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
kam es zum Streit zwischen dem Heiligenverehrer Kristian und dem Schamanen Sampo wegen eines kleinen operativen Eingriffs.
»Gott verbietet das Aufschneiden von Körpern!«, empörte sich Kristian. »Wir haben nicht das Recht, seine Geschöpfe zu verletzen.«
»Zum Heilen darf man den Körper also nicht aufschneiden, aber zur Ehre Gottes darf man die Menschen mit dem Schwert aufschlitzen oder mit der Axt zerschmettern. Du bist ein Narr!«, entgegnete der Schamane.
»Nein, ich weiß in solchen theologischen Dingen Bescheid. Denn im Gegensatz zu dir bin ich getauft!«, schrie Kristian trotzig.
»Das macht es auch nicht besser, dann bist du eben ein getaufter Narr! Und jetzt verschwinde, damit ich dem armen Mann endlich den eingetretenen Stein aus dem Fuß schneiden kann.«
Währenddessen hastete Jabul mit einer schweren Wikingeraxt auf die Gublas Stolz. Unbeachtet von der Besatzung ging er unter Deck. Mit kräftigen Schlägen hieb Jabul gegen die Mastverankerung. Zwei der phönizischen Seeleute, die Bordwache hielten, eilten nach unten, doch sie wagten es nicht, den offensichtlich irre gewordenen Tajarim aufzuhalten. Der hörte nicht eher auf, bis der Mast der Belastung eines geblähten Segels nicht mehr standhalten würde. Doch damit nicht genug, hackte der Diener Raffims auch noch die Planken neben dem Mast in Stücke. Als gurgelnd schwarzes Wasser in das Schiff drang, erschien ein irres Lächeln auf Jabuls Gesicht. Die Entsetzensschreie der Phönizier erreichten ihn nicht. Zufrieden ging er nach oben und verließ die langsam im Hafen versinkende Gublas Stolz.
*
Das Idafeld war erfüllt von bedrückter Betriebsamkeit. Man spürte, dass alle versuchten, ihre große Traurigkeit durch die Vorbereitungen für die Bestattungsfeierlichkeiten zu kompensieren.
Lichtalben putzten und polierten die Götterwagen, während die jeweiligen Zugtiere daneben standen oder lagen und jeden Handgriff aufmerksam beobachteten. Thors Ziegenböcke Zähneknisterer und Zähneknirscher grasten auf der saftigen Wiese, behielten das Treiben auf dem Idafeld aber ständig im Auge. Freyjas Luchse dösten nur scheinbar, in Wirklichkeit entging ihnen nicht die kleinste Kleinigkeit. Odins Wölfe Geri und Freki, der Gierige und der Heißhungrige, kannte jeder als ebenso misstrauisch wie beißfreudig, und heute schienen sie noch gereizter als sonst. Nur das Zugtier Freyrs, der Eber Gullinborsti, interessierte sich nicht im Geringsten für die Hektik um ihn herum, denn er unterhielt sich gerade mit Ratatöskr.
»Glaub mir, Winzling, ich sollte der Anführer der mythischen Tiere sein. Allein meine goldene Farbe erhebt mich doch über die anderen! Ich kann über Land, über Wasser und durch die Luft rennen, und das schneller als jedes Pferd! Selbst der achtbeinige Sleipnir holt mich nicht ein. Ich bin das Werk von zwei Genies, wie du ja selbst immer sagst, Ratatöskr. Wenn wir Tiere einen Führer brauchen, gibt es keinen besseren als mich!«
»Gut, dann sei du ihr Anführer. Das Wichtigste ist, dass du ihnen begreifbar machst, dass etwas Ungeheuerliches geschehen wird, etwas Unbekanntes, Großes, Grausames. Denk an meine Worte, Gullinborsti! Führe sie aus dem Verderben! Sie müssen Asgard verlassen«, flehte das Eichhörnchen inständig.
»Wer, wenn nicht ich?«, erwiderte der Eber selbstbewusst. »Du kannst dich wie immer auf mich verlassen, Kleiner.«
*
Die beiden Zwerge führten Seshmosis in eine Seitenhöhle, die mit Gerümpel vollgestellt war und deren Wände aus überfüllten Regalen zu bestehen schienen.
»Unser Archiv!«, verkündete Brokk.
Mit stolzgeschwellter Brust gingen die Gestaltwandler zwischen den einzelnen Stücken umher; es fiel ihnen schwer zu entscheiden, was sie Seshmosis zuerst präsentieren sollten, um ihn mit ihrer Genialität zu beeindrucken.
Sindri nahm aus einem Regal eine blonde Perücke.
»Das ist der Entwurf für Sifs Haar. Loki hatte Thors Frau aus reiner Bosheit das Haar abgeschnitten. Der Hammergott drohte dem alten Zwietrachtsäer, dass er ihn umbrächte, wenn er diese Tat nicht umgehend wieder gutmachen würde. Na ja, dann drohte Loki uns umzubringen, wenn wir ihm nicht aus der Patsche helfen. Da haben wir notgedrungen dieses Haar aus purem Gold erfunden. Einmal angelegt, verbindet es sich mit dem Kopf und wächst ganz normal wie natürliches Haar.«
»Das lässt sich sicher gut verkaufen. Vor allem an Kahlköpfige, denke ich. Ist das auch Haar?«, fragte Seshmosis und deutete auf
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