Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
Eismeer des hohen Nordens.
»Drei Münzen guten Goldes aus dem Lande Kusch biete ich dir für deine Dienste.«
»Sollten es nicht deren fünf sein?«, fragte Gudrun geschäftstüchtig.
»Nur wenn du bei dreien nicht zustimmst«, lachte Nostr'tut-Amus. »Aber gern will ich dir fünf geben, wenn du uns weiterhilfst.«
»Ich besitze nicht alle Runen, die Odin dem Zwerg Mimir abgetrotzt hat. Doch wahrlich genug halt ich in Händen, einen Blick zu wagen. Stell deine Frage!«
»Wo findet sich Seshmosis' letzter Spross?«
Die Seherin warf ihre Buchenstäbe auf ein Stück schwarzes, glattes Leder. Lange versenkte sie sich in das Bild, das die Stäbe auf der Unterlage formten, dann raunte sie: »Der, den ihr sucht, ist den Göttern nahe. Kein Menschenpfad führt zu seinem Heim. Er spricht mit Asen und Wanen, mit Drachen und Wölfen. Der, den ihr sucht, findet ihr nicht mehr auf dieser Welt.«
Nostr'tut-Amus war irritiert. Dass Seshmosis' Nachkomme den Göttern nahe stand, war sehr wahrscheinlich, schließlich war er der Ururenkel des Propheten von GON. Auch dass er mit den hiesigen Göttern etwas zu tun hatte, erschien logisch. Doch dass der Nachkomme nicht auf dieser Welt leben sollte, das verstand nicht einmal der Seher.
Na gut, sollte sich Seshmosis mit diesem Problem selber herumschlagen.
»Kannst du mir noch mehr über den Gesuchten sagen?«, fragte er Gudrun weiter, obwohl er sich keine großen Hoffungen machte.
»Nein. Aber über deinen Freund kann ich dir etwas sagen. Sorgt euch nicht um ihn, ihm geht es gut, und sein Gott ist bei ihm. Es ist so vorherbestimmt, dass ihr für eine gewisse Zeit getrennte Wege geht.«
*
In Asgard bereitete man trotz aller lähmenden Trauer Baldurs Beerdigung vor. Dazu wurde sein gewaltiges Drachenschiff Ringhorn, das noch nie das Meer gesehen hatte, geschmückt und mit allem Notwendigen versehen. Während man in den Bauch des Schiffes Pech, Heu, Reisig und andere leicht brennbare Materialien brachte, belegte man die Sitzbänke mit wertvollem Geschmeide, und an den Mast hängte man die prächtigsten Rüstungen.
Unruhig beobachteten Baldurs Pferde Goldig, Glanz und Silberstirn das Treiben der Asen und ihrer Hilfskräfte. Sie ahnten, dass auch sie eine bedeutende Rolle in der bevorstehenden Zeremonie spielen sollten. Eine absolut endgültige Rolle, und das behagte ihnen gar nicht. Die drei göttlichen Pferde hatten bei ihren Ausflügen nach Midgard gesehen, dass man bei der Bestattung von Häuptlingen und Königen deren Pferde auf die Schiffe führte und gemeinsam mit ihrem Herrn verbrannte. Eine Vorstellung, die Goldig, Glanz und Silberstirn ganz und gar nicht gefiel. Langsam gingen sie seitwärts und entfernten sich so nach und nach vom Geschehen. Wie zufällig näherten sie sich dabei der Regenbogenbrücke Bilfröst. Und dann rannten sie. Die Brücke schwankte unter ihren wirbelnden Hufen, doch die Pferde verloren nicht den Halt. Als sie die Brücke hinter sich hatten und nach scharfem Galopp endlich schnaubend anhielten, standen sie vor Gamlis Hof.
»Ich wusste, dass ihr kommen würdet«, begrüßte sie freudig erregt die Ziege Heidrun. »Folgt mir, ich zeige euch die Koppel.«
*
Missmutig kaute Raffim auf seinem Essen herum. Ein Mann der Genüsse wie er empfand es als Folter, täglich Haferbrei und Hering zum Frühstück zu bekommen. Man sah dem Dicken seine Vorliebe für die Finessen der orientalischen Küche auf den ersten Blick an. Und der Handel lief auch nicht so ergiebig, wie er sich das erhofft hatte. Leif Blauzahn saß auf den Beutestücken seiner Wikingerzüge wie eine sentimentale Großmutter auf dem Wickeltuch ihres ersten Enkels. Er wollte einfach nichts rausrücken, und wenn doch, dann zu so horrenden Preisen, dass sich ein Geschäft nicht mehr lohnte.
Da setzte sich der Skalde Egil neben Raffim und flüsterte ihm zu:
»Wenn du gute Geschäfte machen willst, musst du Keflavik den Rücken kehren. Hier ist nichts zu holen, denn der Gode ist geizig und hockt auf seinem Besitz. Aber im Nordosten von Eisland gibt es einen Ort, der Husavik oder Häuserbucht heißt, und dort handeln die Menschen mit Obsidian wie anderswo mit Heringen. Das sollte euer Ziel sein!«
»Wieso verrätst du mir das?«, fragte Raffim misstrauisch.
»Weil ich mit euch segeln will. Leif Blauzahn ist kein freigiebiger Mann, wie ihn ein Skalde braucht. Soll er auf seinem Gold sitzend verrotten! Ich will anderswo mein Glück versuchen.«
Nicht weit vom Langhaus des Goden
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