Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
ungefähr einer Stunde erreichte die Jagdgesellschaft eine Schneise, die vor nicht allzu langer Zeit durch ein Feuer in den Wald gebrannt worden war. Eindeutig eine Drachenschneise.
Hagen teilte die Treiber ein.
»Womit sollen wir die Biester denn treiben?«, fragte ein Knabe, dessen Lebenserfahrung vor allem darin bestand, Rotwein an des Königs Tafel auszuschenken.
»Es reicht völlig, wenn du angstschreiend durch den Wald rennst. Den Rest erledigen wir!«, beschied ihm Hagen.
»Aber vorher reiche er mir noch den Weinschlauch!«, befahl Giselher.
Der Prinz beschloss, am Ausgangspunkt auszuharren und den Sammelplatz zu sichern. Mit einem überschaubaren, aber nicht zu knappen Weinvorrat ließ er sich unter einem angekohlten Baum nieder.
Hagen, Siegfried, Seshmosis und Nostr'tut-Amus stärkten sich ebenfalls erst mit einem ausgiebigen Mahl, während die Drachentreiber auf ihre Positionen gingen, von denen aus sie den Jägern die Beute zutreiben sollten.
Nach der Stärkung machten die vier sich bereit zur Jagd. Der Tronjer hatte sich mit einer schweren Doppelaxt bewaffnet und Siegfried mit einer Saufeder. Dieser Spieß mit langem, breitem Blatt mit Widerhaken wurde sonst zur Wildschweinjagd verwendet. Seshmosis trug sein magisches Zwergenschwert Grafvitnir am Gürtel, hoffte aber, es nicht benutzen zu müssen.
Nostr'tut-Amus stellte sich wie immer der Zukunft unbewaffnet. Nun, nicht ganz unbewaffnet: An einem Lederband um den Hals trug er ein Stück Obsidian, um sich im allerschlimmsten Fall die Kehle selbst durchzuschneiden.
Die vier hatten das Ende der Brandschneise noch nicht erreicht, als Seshmosis das Geschrei der Treiber hörte. Doch statt immer näher, erklang der Lärm immer ferner, bis er schließlich verstummte. Hagen und Siegfried sahen sich fragend an.
»Sie müssen vom Weg abgekommen sein«, meinte der Tronjer.
»Sicher«, ertönte eine gewaltige Stimme. »Sie kommen immer vom Weg ab, wenn sie uns sehen.«
Seshmosis drehte sich erschrocken um. Hinter ihnen stand ein mächtiger Drache.
Hagen hob seine Doppelaxt, und Siegfried umklammerte fest seine Saufeder. Seshmosis glaubte im Gesicht der rot geschuppten Kreatur Belustigung zu erkennen. Dann sprach der Drache:
»Welche Vermessenheit, auf Drachenjagd zu gehen! Genauso gut könnten sich Mäuse versammeln, um Menschen zu jagen. Es ist einfach lächerlich! Wir Drachen sind euch turmhoch überlegen – egal unter welchen Gesichtspunkten, ob zivilisatorisch, ob literarisch oder unter dem Aspekt der Nahrungskette. Außerdem sind wir wesentlich größer und haben eine erheblich höhere Lebenserwartung, nämlich gen unendlich!«
»Deine Tage sind gezählt, du Wurm«, brüllte Siegfried und raste auf den Drachen zu. Der schlug kurz mit einem Flügel, und Siegfried landete in einer verkohlten Baumkrone. Daraufhin ließ Hagen seine Axt fallen.
»Brav«, bemerkte der Drache. »Können wir jetzt vernünftig miteinander reden?«
Hagen nickte nur, während Nostr'tut-Amus dem stöhnenden Siegfried vom Baum half. Zum Entsetzen aller erschien ein weiterer Drache. Er war nur geringfügig kleiner als der erste und grün.
Der erste Drache ergriff wieder das Wort: »Gestatten, ich bin Fafnir, und das ist mein Freund Drako Herbarum, genannt Herbin. Wer ihr seid, wissen wir. Wir möchten nur einmal etwas Grundsätzliches klären.«
»Und was wollt ihr klären?«, fragte Hagen.
»Den Unsinn mit der Drachenjagd. Sie nervt uns! Wie jeder halbwegs gebildete Drakologe weiß, sind Drachen nahezu unsterblich. Man, sprich: ein Mensch, kann uns nicht töten, er kann uns höchstens auf eine andere Daseinsebene verjagen. Wir wollen uns aber nicht verjagen lassen, weil es uns hier gefällt!«
Zu Seshmosis' Überraschung ergriff Nostr'tut-Amus das Wort.
»Man sagt aber, das Bad im Blut eines Drachen mache unverwundbar.«
»Woher hast du denn diesen Unsinn?«, fragte der grüne Drache.
»So steht es in den alten Schriften, die ich selbst studiert habe.«
»Das ist eine Verwechslung. Ich bin Kräuterexperte. Die Autoren dieser Schriften meinten sicher den Saft, der aus der Pflanze Dracaena deremensis gewonnen wird und den man auch Drachenblut nennt. Er wird schon lange bei Verwundungen eingesetzt, weil er heilend und schmerzlindernd wirkt. Aber zur Saftgewinnung muss man doch keine intelligenten Lebewesen erschlagen!«
Inzwischen hatte sich Siegfried so weit erholt, dass sein Ego wieder funktionierte.
»Ich schlage euch einen Handel vor! Gebt mir irgendeine
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