Die Nomadengott-Saga 03 - Die Weltenbaumler
ich das ganze Gold mit meinem Feueratem!«
»Herr, den Ring habe ich ganz vergessen! Gleich nachdem Ratatöskr ihn mir gegeben hatte, brauchte ich einen sicheren Aufbewahrungsort. Und wo ist etwas sicherer als in deiner Obhut, Herr?«
»Du Schmeichler! Ich erkenne deine Not. Es sei dir verziehen. Aber nun räum die Ringe raus und verstecke sie woanders. Ich fühle mich unwohl mit all dem Gold.«
Während Seshmosis Draupnir bei seinen Schriftstücken versteckte und die vervielfältigten Goldringe in seinen Leinenbeutel umfüllte, sagte er wie beiläufig: »Brünhild ist sehr traurig. Gunther scheint ein wahrer Schuft zu sein. Irgendwie hat er sie wohl überlistet.«
»So plump willst du mich aushorchen, mein lieber Prophet? Dein Versuch ist zu durchsichtig. Das mag bei Loki funktionieren, aber nicht bei mir. Frag, wenn du etwas wissen willst, und dann entscheide ich, ob ich dir antworte!«
»Bitte Herr, verrate mir, wie es Gunther gelang, Brünhild zu besiegen.«
»Mit Siegfrieds Hilfe, der einen Tarnmantel verwendet hat, den Hagen von seinem zwergischen Vater Andwari Alberich geschenkt bekam. Üble Sache übrigens. Dieser Gunther ist wirklich ein wahrer Schuft.«
»Herr, wie kann ich Brünhild helfen?«
»Folge deinen Gefühlen. Verlass dich auf deinen Instinkt. Und höre auf deine Füße, wenn sie der Meinung sind, dass es Zeit ist zu gehen.«
Ein helles Lachen erfüllte das Zimmer, und es schwang immer noch in Seshmosis' Kopf, als der kleine Drache längst verschwunden war.
*
Ganz Worms jubelte dem Drachentöter Siegfried zu. Die Trophäe, den skelettierten Schädel Raffnirs, stellte man auf dem Marktplatz zur Schau, damit ihn alle bestaunen konnten. Schwer bewaffnete Krieger bewachten den Kopf, damit auch ja niemand versuchte, Stückchen davon abzuschlagen und als Souvenir mitzunehmen.
Mehr und mehr Menschen strömten aus dem Umland in die Stadt, in der Handwerker mit neuen Schildern wie diesem warben: »Der Schmied, an dem Siegfried täglich vorbeigeht« oder »Die Taverne, in der jeder Drachentöter bis zum Tode trinkt«. Selbst die örtliche Gilde der leichten Mädchen warb mit einem neuen Slogan: »Die feurigen Töchter der Drachenreiter«.
Der Drachentourismus in Worms wuchs von Tag zu Tag, und Gunthers Neid erwachte. Siegfried, der Drachentöter, hatte den König in der Gunst des Volkes eindeutig abgelöst.
Gunther raste vor Zorn. Sein Weib hasste ihn, und er war sicher, dass sie ihn mit dem Fluch der Impotenz belegt hatte. Man kannte ja diese ausländischen heidnischen Hexen. Und nun stahl ihm auch noch sein einstiger Vorzeigeheld die Liebe seines eigenen Volkes! So konnte es nicht weitergehen! Gunther berief den Thronrat ein.
In dem kleinen Raum hinter dem Thronsaal trafen sich König Gunther, seine beiden Brüder Gernot und Giselher sowie Hagen und Dankwart von Tronje. Von den beiden Stiefbrüdern war Dankwart als Großkämmerer für die Finanzen von Burgund zuständig und Hagen fürs Grobe, womit der Herrscher seine Hände nicht beschmutzen wollte.
»Siegfried raubt mir noch den Verstand«, eröffnete Gunther das Treffen. »Mit dieser Drachentötergeschichte macht er mir mein Volk abspenstig. Die Leute sähen ihn lieber heute als morgen auf dem Thron von Burgund!«
»Finanziell bringt uns die Drachentötergeschichte gute Einnahmen. Wir könnten da sogar noch mehr rausholen«, wandte Dankwart ein. »Wenn wir vielleicht kleine Drachenfigürchen anfertigen lassen und feilbieten …«
Er konnte seinen Satz nicht beenden, weil Gunther ihn packte und ihm den Hals zudrückte. Als Dankwart blau anlief und sein Röcheln langsam erstarb, ließ der König seinen Kämmerer gerade noch rechtzeitig los.
»Wenn es noch einer wagen sollte, das Wort Drache in den Mund zu nehmen, erschlage ich ihn eigenhändig. Und wenn es mein eigener Bruder wäre!«, drohte er mit Blick auf Giselher, der sich einfältig glotzend aus einem Krug nachschenkte.
»Was immer du wünschst, Gunther. Es soll mir recht sein. Ist noch von dem Roten da?«
»Wir müssen Siegfried aufhalten!«, forderte Gunther. »Wenn es sein muss, mit allen Mitteln!«
»Dafür brauchen wir aber einen guten Grund«, warf Hagen ein.
»Dann finde einen!«, befahl der König von Burgund. »Dafür bezahle ich dich schließlich.«
*
Im Pallas, der großen Halle der Burg von Worms, standen Seshmosis und Wahnfried in einer Fensternische.
»Hast du den großen Homeros wirklich gekannt?«, fragte bewundernd der burgundische
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