Die Nonne und die Hure
saßen auf und ritten durch die kleine Stadt mit ihren grauen Häusern und den rotbraunen Dachziegeln. Die Gassen waren mit Menschen bevölkert. Pferdekarren mit Früchten ratterten über das Pflaster. Sie kauften Brot, Käse, Butter und Wein und ließen es sich im Schatten einer Pinie schmecken.
»Wir müssen so schnell wie möglich Riva erreichen«, sagte Christoph. »Dort kann man sicher auch deine Wunde behandeln.« Sie tranken den letzten Schluck Wein, kauften einen Sack Hafer für die Pferde und machten sich auf den Weg. Hans’ rechter Arm war inzwischen ziemlich taub, aber die Wunde blutete nicht mehr. Am Ausgang des Ortes mussten sie feststellen, dass sie nicht mehr weiterkamen.
»Hier machen wir alles mit den Booten«, erklärte ihnen ein fast zahnloser Fischer, der im Schatten einer Pinie seine Netze flickte. Er gab ihnen einen anständigen Preis für die Tiere, und sie setzten zu einem ebenso anständigen Preis mit seinem Fischerboot hinüber nach Torbole. Im Städtchen erstanden sie neue Pferde und trafen am späten Nachmittag in Riva ein. Der Ort wurde überragt von einer mächtigen Scaligerburg
»Wer waren eigentlich die Scaliger?«, wollte Christoph wissen.
»Mein Vater hat mir davon erzählt«, entgegnete Hans. »Die Scaliger waren ein veronesisches Herrschergeschlecht,das von 1363 bis 1387 hier herrschte. Ihr Oberhaupt hieß Cangrande , der Große Hund. Dabei waren sie relativ gerechte und kultivierte, wenn auch machtgierige Regenten. Von 1301 bis 1304 hielt sich auch der Dichter Dante an diesem Hof auf und widmete Cangrande sein ›Paradiso‹, den letzten Teil der ›Göttlichen Komödie‹.«
»Ja, Dante«, meinte Christoph und pfiff durch die Zähne. »Der hatte doch auch so eine … platonische Beziehung zu seiner Beatrice.«
»Und Petrarca zu Laura«, ergänzte Hans.
Kleinere Palazzi und Kanäle säumten den mit Porphyr ausgelegten Platz. Der Fluss Adige, der mitten hindurch floss, führte kaum Wasser, wurde aber von blühenden Oleanderbüschen gesäumt. Die kahlen Zweige der Pappeln zitterten in der Brise. An einem der Paläste war ein Schild angebracht mit dem Hinweis: Palazzo Pretario . Christoph betätigte den Klopfer, der in Form eines Blätterkranzes an der Tür angebracht war. Über dem Portal hing der geflügelte Löwe, in Stein gemeißelt, das Symbol der Verbundenheit der Scaliger mit der Serenissima . Nichts rührte sich. Sie gingen um das Gebäude herum, spähten zu einem Fenster hinein. Außer staubbedeckten Möbeln und Spinnweben konnten sie nichts erkennen.
»Merkwürdig«, sagte Christoph. »Der Palast scheint seit langem nicht bewohnt zu sein. Wo könnten sie sich aufhalten? Oder wo könnte Lion sein, falls Suor Mathilda nicht bei ihm ist?«
»Mir kommt gerade ein Gedanke«, meinte Hans. »Die Boten der Signoria sind möglicherweise nicht nur wegen uns hier, sondern auch ihretwegen. Das Wissen darüber, wo sie sich aufhalten könnten, wird ihnen nicht verborgen geblieben sein.«
»Ich rechnete nicht mit einer solchen Schnelligkeit bei ihrem Vorgehen.«
»Dann wollen wir hoffen, dass sie nach ihnen und nicht nach uns suchen, wenn sie hierher kommen«, bemerkte Christoph.
Da die Dunkelheit sich herabsenkte, stiegen sie wieder auf und suchten nach einer Herberge für die Nacht. Die Wärme des Nachmittags stand noch in den Gassen; da und dort sah Christoph späte Rosen und Geranien. Im Pescadero , einer kleinen Wirtschaft, die auch Betten vermietete, wurden sie fündig. Durch die offene, niedrige Tür betraten sie einen dunklen Raum, der nur durch den Schein des Kaminfeuers erhellt wurde. Über dem Feuer hing ein Kessel, in dem offenbar eine Fischsuppe brodelte. Die Gäste saßen an Tischen mit fleckigen Decken; der Boden war mit Gräten und Krabbenköpfen übersät. Eine rundliche Frau mit sauberer Schürze zeigte ihnen den Schlafraum. Einander gegenüber lagen jeweils fünf Strohsäcke mit einer wollenen Decke. Später saßen sie im Gastraum und sahen der Wirtin zu, wie sie eine Bürste aus dem Specksteinspülbecken nahm, einen Kupfereimer mit Wasser füllte und den Boden schrubbte. Nach getaner Arbeit erschien sie mit einer frischen Schürze. Sie schöpfte ihnen mit einer Kupferkelle von der Suppe in die Teller. In der Brühe schwammen Flusskrebse, Muscheln und Stücke von Wels und Aal. Dazu gab es goldgelbe Polenta. Als Hauptspeise wurde Fasan mit Speck, Salbei und Rosmarin serviert, dazu tranken sie Zypernwein. Bald kamen sie mit den anderen Gästen ins
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