Die Nonne und die Hure
sich im Brunnen hinter dem Haus. Die anderen Gäste saßen schon beim Frühstück, als er mit Hans in die Gaststube kam, und schaufelten sich große Portionen Haferbrei in ihre Holzschüsseln. Der Morgen war herbstlich grau und kühl. Christoph und Hans beschlossen, noch einmal zum Palazzo von Breitnagel zu gehen. Sie durchquerten einen Park mit alten Weiden, spazierten am steilen Ufer des Sees entlang, wo das Wasser weißen Sand angespült hatte, und fanden sich im kleinen Ortskern mit rot und pastellfarben gestrichenen Häusern wieder. Schließlich standen sie vor dem Palazzo. Christoph nahm den Klopfer in die Hand und ließ ihn mit einem Knall auf die Tür krachen. Erst rührte sich nichts, dann kamen schlurfende Schritte näher. Ein alter Diener mit schütterem Haar und etwas verblichener Kleidung öffnete ihnen und blinzelte ins Licht.
»Was wünschen die Herrschaften?«, fragte er unfreundlich.
»Wir wünschen den Herrn des Hauses zu sprechen, Signore Breitnagel«, antwortete Christoph.
»Der Herr befindet sich noch in seinem Schlafgemach«, sagte der Diener. »Kommt später wieder.«
»Melde uns bitte deinem Herrn. Wir kehren in einer Stunde zurück.«
Im Hafen lagen schmale, schwarz gestrichene Fischerboote mit einem schnabelförmigen Aufsatz. Wie die Gondeln in Venedig, dachte Christoph. Sie liefen durch die Stadt. Nach genau einer Stunde kehrten sie zum Palazzo zurück.
»Ihr werdet heute Abend vom Signore zum Essen erwartet«, sagte der Diener.
»Was meinst du, was uns im Palazzo heute Abend erwartet?«, fragte Christoph.
»Ich bin selbst gespannt. Die Deutschen sind zwar als knauserig verschrien, aber ich denke, dass Breitnagel sich nicht lumpen lassen wird.«
Sie spazierten eine Weile am See entlang.
»Eigentlich habe ich ein schlechtes Gewissen«, fing Christoph an.
»Warum denn?«
»Während wir in der Gegend herumreisen, sitzen unsere Mitstreiter in den Kerkern, werden zu Tode gefoltert und versuchen, zu retten, was zu retten ist.«
»Aber genau das tun wir doch auch. Wir sind hier, um das Unrecht beseitigen zu helfen.«
»Ich habe Celina jetzt das zweite Mal allein gelassen. Was, wenn ihr auf der Seereise etwas passiert?«
»Liebst du sie?«, wollte Hans wissen.
»Mehr als mein Leben. Aber es gibt eine Sache, die ich noch darüber stelle. Das ist die Liebe zu Gott.«
»Gott offenbart sich in jedem Menschen«, meinte Hans. »Folglich offenbart er sich auch in der Liebe zwischen Mann und Frau. Dort vielleicht am meisten.«
»Also steht die körperliche Liebe über der geistigen?«
»Eine jede hat ihre Daseinsberechtigung. Hätte Gott uns sonst die Möglichkeit gegeben, zwischen beiden zu wählen? Oder auch beides zu wählen?«
»Ich war drauf und dran, mein Liebstes zu verlassen und für immer ins deutsche Reich zu gehen. Wären die anderen nicht schon tot gewesen …« Christoph fühlte sich niedergeschlagen. »Ich glaube, ich weiß es jetzt«, rief er. »Man kann nicht alles gleichzeitig machen. Jetzt ist die Zeit fürMenschenliebe und die Zeit dafür, das Unrecht zu bekämpfen. Die Zeit der Liebe wird wiederkommen.«
»Und Celina wird genesen von ihren Wunden, auch das ist eine Frage der Zeit«, entgegnete Hans. »Wir werden die Sache hier schnell erledigen, das verspreche ich dir.«
Sie schauten auf die Weite des Sees hinaus. Ein paar Schäfchenwolken hatten sich gebildet und warfen Schatten auf die spiegelglatte Oberfläche, die sich immer wieder kräuselte, als hätte jemand sie berührt. Der letzte Schein der Sonne fiel auf das Massiv des Monte Baldo, der finster und drohend aufragte wie ein Wächter zum Tor der Hölle. Schließlich machten sie sich zu Breitnagels Haus auf.
Breitnagels Diener führte sie durch ein Vestibül, das mit kostbaren orientalischen Teppichen ausgelegt war. Von den Spinnweben war nichts mehr zu sehen, wahrscheinlich hatten sie kürzlich in eine Rumpelkammer hineingeblickt. An der Decke waren Fresken angebracht, die Szenen griechischer Götter zeigten. In dem prunkvollen Esssaal, den sie danach betraten, stand eine lange Tafel, mit weißem Linnen und dem edelsten Geschirr versehen. Christoph trug ein sauberes Wams und Halbhosen aus Barchent, Hans hatte seine schlaksige Gestalt in eine Jacke aus Brokat und seidene Beinlinge gehüllt. Breitnagel saß am Kopfende des Tisches, die anderen Gäste, alle in kostbare Gewänder gehüllt, ihm zur Rechten und zur Linken. Huldvoll winkte der Deutsche sie zu sich. Sein breites Gesicht war noch breiter geworden;
Weitere Kostenlose Bücher