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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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die Haut, durch seine Laster verwüstet, wies rote Äderchen und Runzeln auf, die seinem Alter nicht angemessen waren. Sein mächtiger Bauch zwang ihn, ein Stück vom Tisch entfernt zu sitzen.
    »Ja, wen haben wir denn da«, begrüßte er sie mit einem Grinsen und breitete die Arme aus. »Mein Gefährte aus Rottfahrertagen und sein allgegenwärtiger Freund aus der Serenissima . Seid willkommen in meinem Hause! Hier zumeiner Rechten und zu meiner Linken habe ich zwei Plätze für euch freigehalten.«
    Tat er nur so freundlich, oder war das etwa eine Falle?
    »Es ist mir eine Ehre«, sagte Breitnagel jedoch genauso freundlich und gab ihm die Hand.
    »Seid Ihr nicht der Gespiele jener schönen Jungfer, die ich die Ehre hatte, auf einer Piazza in Venedig kennenzulernen? Zusammen mit Nanna, Gott hab sie selig, die Ärmste«, plauderte Breitnagel und schaute Christoph an.
    Da warst du sicher nicht ganz unschuldig daran, dachte Christoph, doch er sagte nichts. Die Damen und Herren an der illustren Tafel unterhielten sich derweil angeregt miteinander. Die Tür öffnete sich, und die Bediensteten trugen die ersten Gänge herein. Polenta und Zuppa di riso alla venezíana und Fischgelatine, danach Oca sotto grasso , in Schmalz eingelegte Gans mit einer Soße aus Öl, Knoblauch und Rosmarin, Stückchen vom Stör in einer kupfernen Kasserolle, in Most, Essig und mit Pflaumen gegart, fegato alle cibolle , Leber mit Zwiebeln, und schließlich Golosessi , karamellisierte Spieße aus Feigen, Trauben, Walnüssen und Aprikosen. Christoph nahm von allem nur ein wenig und aß erst, als die anderen von derselben Speise genommen hatten. Er sah, dass Hans sich ebenso verhielt. Wurde ihm heiß, wurde es ihm schwindlig? Christoph spürte keine Veränderung und lehnte sich beruhigt zurück.
    »Was gibt es für Nachrichten aus Venedig?«, fragte Breitnagel mit vollem Mund. Dann rülpste er, was in bestimmten Kreisen immer noch als normal galt.
    »Der Abt Cornelli, der in Wahrheit ja Lion heißt, ist zum Tode durch Enthaupten verurteilt worden«, entgegnete Christoph. »Einer aus dem Rat der Zehn, Eugenio Gargana, wurde mit seiner Frau im Dogenpalast inhaftiert und wird später aus der Stadt verbannt. Die Äbtissin desKlosters Convertite sitzt im Gefängnis. Es gibt zurzeit kein anderes Gesprächsthema in der Stadt.«
    »Ich halte mich schon länger hier auf meinem Landsitz auf«, meinte Breitnagel. »So bekomme ich wenig davon mit, was in der Welt passiert. Ich erinnere mich daran, einmal mit Herrn Gargana und dieser schönen jungen Frau auf einem Platz gesessen zu sein.«
    »Ich habe von den Ereignissen gehört«, warf ein älterer, magerer Herr mit gestutztem Backenbart und übergroßem Barett ein. »Ich glaube nicht an die Schuld dieser Leute. Die Beweislage war keineswegs eindeutig.«
    »Zudem waren einige Häretiker in den Prozess verwickelt«, kam es von seinem Tischnachbarn, einem ebenfalls älteren, dicklichen Landadligen. »Nichts sollte gegen unsere gottgewollte Ordnung und gegen unsere Kirche geschehen.«
    »Alles ist einem Wandel unterworfen, also auch die Kirche«, wagte Christoph einzuwenden. »Es ist viel an neuem Gedankengut in die Welt gekommen. Dem kann man sich nicht verschließen, ohne hoffnungslos rückständig zu sein.«
    »Ihr seid wohl einer dieser Häretiker?«, fragte der erste Sprecher mit lauernd zusammengekniffenen Augen. Die ganze Tischgesellschaft war still geworden und lauschte gespannt der Auseinandersetzung.
    »Christoph Pfeifer und sein Begleiter, Hans Leublin, sind meine Gäste, und ich dulde es nicht, dass sie verdächtigt und beleidigt werden«, polterte Breitnagel. »Ich kenne ihn als Mitglied der Rottfahrer, der mich über die Alpen begleitet hat, und Hans als Angehörigen eines guten Hauses.«
    »Was war denn mit dem Trupp, als die Gerölllawine kam?«, stichelte Christoph.
    »Da hat mir niemand einen Vorwurf draus gemacht. DasWichtigste war, die Ware unbeschadet nach Venedig zu bringen, und das habe ich geschafft«, erwiderte Breitnagel.
    »Ach … die Ware wurde zusammen mit Euch gerettet?«
    »Ja, so ist es. Ich bin ja nun nicht besonders belesen, aber schon Machiavelli schrieb, dass der Staat als allem anderen übergeordnet betrachtet werden muss. So ist auch meine private Philosophie. Der Wert des Geldes ist unvergänglich; es hat die Welt schon immer regiert und wird sie immer regieren.«
    »Diese Ansicht könnt Ihr natürlich vertreten«, antwortete Christoph. »Aber es gibt andere Werte, die viel

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