Die Nonne und die Hure
dem Rammsporn am Bug haben wir ihnen ein mächtiges Loch beigebracht und sie schließlich versenkt.«
Celina horchte auf.
»Was für Piraten treiben ihr Unwesen an diesen Küsten?«
Der Kapitän setzte sich auf ein Knäuel von Tauen und kniff die Augen über seiner breiten, braungebrannten Nase und dem schwarzen Schnauzbart zusammen.
»Hier an der Adriaküste sind es die Uskoken«, sagte der Kapitän. »Das ist ein Verband von Hajduken, den Bewohnern aus den osmanisch besetzten Gebieten Kroatiens, Herzegowinas und Bosniens. Auf der Flucht vor den Osmanen verließen sie Anfang des Jahrhunderts ihr Heimatland. Sie waren und sind ausgezeichnete Scharfschützen und Schwertkämpfer, und sie hielten die Herzegowina weitgehend frei von den Osmanen. Die Uskoken sammelten sich in Dalmatien, unter dem Befehlshaber Petar Kruzîc in Klis. Als 1537 die Türken Klis eroberten, zogen die Uskoken nach Senj. Von dort kämpften sie erbittert gegen die Türken, aber auch gegen die Venezianer, besonders an der Küste von Zadar. Mit ihren kleinen und wendigen Booten machen sie die gesamte Adria unsicher. Bisher ist es uns nicht gelungen, sie zu überwältigen.«
Celina stutzte.
»Warum wird dann in Venedig am Himmelfahrtstag die Bucintoro , die Prachtgaleere, hinausgefahren?«
»Das hat eine alte Geschichte, kennt Ihr sie noch nicht?«
»Mein Vater hat mir mal etwas erzählt, aber ich habe es wieder vergessen.«
»Am Tag von Christi Himmelfahrt«, begann der Kapitän, »im Jahre 997 stach der Doge Pietro II. Orseolo mit einer Galeere in See, um die dalmatinischen Küstenstädte von den Piraten zu befreien.«
»Also auch damals schon«, meinte Andriana.
»Und es ist ihm gelungen«, fuhr der Kapitän fort. »Seit dem Zeitpunkt findet in jedem Jahr an diesem Tag die sposalizio del mare , die spirituelle Vermählung Venedigs mit dem Meer, statt. Der Patriarch von San Elena segnet einen Ring, den der Doge am Lido als Zeichen des sposalizio in die Adria wirft mit den Worten:
›Wir vermählen uns mit dir, Meer, zum Zeichen unserer wahren und beständigen Herrschaft.‹«
»Mit der Herrschaft ist es heute auch nicht mehr so weit her«, warf Celina ein.
»Das ist richtig«, antwortete der Kapitän. »Die Stadt hat ihre Macht und Vorrangstellung an viele andere Mächte verloren. Das begann mit der Entdeckung der Seewege nach Indien und Amerika. Wir konnten zwar im Arsenale viele Handelsgaleeren zu Kriegsgaleeren umrüsten, aber das hat uns auch nichts mehr geholfen.«
»Meine Eltern wurden von Piraten gefangengenommen, auf dem Weg nach Triest«, sagte Celina.
»Und Ihr seid jetzt dabei, sie wieder auszulösen?«, fragte der Kapitän.
»Ja, in Konstantinopel. Angeblich waren sie in einen Sommersturm geraten und untergegangen.«
»Sommerstürme gibt es hier nicht. Aber ich habe von der Geschichte gehört – von diesem Eugenio Gargana und seiner Alten, die hätte man nicht nur verbannen, sondern ihnen den Kopf abschlagen sollen. Oder sie zeitlebens in ein Rattenloch sperren. Ist denn dieser Geldsack, dieser …«
»Breitnagel«, ergänzte Andriana. »Nein, der wurde nicht bestraft, ihm wurde kein Härchen gekrümmt. Und derMörder, den er gedungen hatte, ist immer noch auf freiem Fuß.«
»Was ist denn nun mit diesem Eugenio und seiner Alten?«, wollte der Kapitän wissen.
»Sie haben fünf Jahre Kerkerhaft im Dogenpalast bekommen und anschließend zehn Jahre Verbannung«, antwortete Celina.
In diesem Moment wurde Celina bewusst, dass sie weiterhin in Gefahr schwebte, und nicht nur sie allein, sondern auch Christoph. Was hatte der Mann mit der Maske im Wassergeschoss des Palazzo gesagt? Celina konnte sich nicht mehr erinnern.
»Habt Ihr keine Sorge, dass dieses Schiff ebenfalls von Piraten angegriffen werden könnte?«, fragte Andriana.
Der Kapitän strich sich über den Bart.
»Ist schon öfter passiert, aber wir haben sie jedes Mal zurückgeschlagen. Nicht wahr, Alessandro?«, rief er einem jungen Seemann mit Kopftuch und Pluderhose zu.
»Es ist so, wie Ihr sagt, Herr«, gab der Junge zur Antwort.
»Und jetzt steht nicht herum und haltet Maulaffen feil«, polterte der Kapitän gutmütig. Die Seeleute machten sich an ihre Arbeit.
37.
Ein Hahn krähte. Christoph rieb sich die Augen. Hans war schon aufgestanden und rieb die Pferde mit einem Tuch ab. Christoph reckte sich, dann war er mit einem Satz auf den Beinen. In der Ferne zog ein Fischerboot seine Bahn, und auf der anderen Seite glaubte er Palmen zu erkennen. Sie
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