Die Nonne und die Hure
Lion und Mathilda warfen ihm giftige Blicke zu.
In Torre del Benaco bezogen sie das Fort der Scaliger. Christoph erhielt eine Einzelzelle für die Nacht. Er versuchte gar nicht weiter nachzudenken, aß das Brot, das er zur Nacht bekam, trank einen Becher Wein und schlief ein. Spätabends am zweiten Tag trafen sie mit einem Traghetto, bewacht von zwei Signori, in der Serenissima ein. Die Stadt machte einen trostlosen Eindruck auf Christoph, alles erschien ihm grau und verfallen, dekadent und verworfen, wie eine alte Hure. Zu seinem großen Erstaunen wurden sie nicht eingekerkert, sondern freigelassen. Es sei auf Befehl des päpstlichen Gesandten Capilupi geschehen, wurde ihnen gesagt.
39.
Am Morgen des fünfzehnten Tages tauchte die Stadt Konstantinopel wie eine Fata Morgana auf, mit ihren goldenen Kuppeln, den Türmen, Mauern, Minaretten und Moscheen. Emsig liefen die Seeleute hin und her, holten die Segel ein, befestigten das Schiff an einem der mächtigen Pontons am Ufer und begannen mit der Entladung. Der Kapitän sagte zu Celina und Andriana, dass am nächsten Tag ein befreundeter Kapitän wieder zurück nach Venedig fahren würde.
Celina las noch einmal die Adresse: Caddesi Süylamanje 14. Sie verließen das Schiff über einen schmalen Holzsteg und ließen sich durch die Gassen treiben.
Konstantinopel sei ein Schmelztiegel der Völker, erklärte Andriana.
An jeder Ecke fand ein Markt statt. Die ganze Welt schien sich hier ein Stelldichein zu geben. Von einem kleinen Hügel aus, der mit armseligen Hütten bestanden war, blickten sie hinüber nach Asien und auf das Goldene Horn, den Zufluss zwischen Bosporus und dem Marmarameer. In der Altstadt trafen sie auf das Hippodrom der Byzantiner, den osmanischen Topkapi-Palast, die überwältigende Kirche Haghia Sophia, die Blaue Moschee – und dann auf die Kirche der Süleymaniye.
»Hier in der Nähe muss die Straße sein«, sagte Celina aufgeregt. Nachdem sie ein paar Mal Passanten gefragt hatten, die jeweils in eine andere Richtung wiesen, standen sie schließlich vor einem einfachen, weißgetünchten Haus mit schmalen Fenstern und einer niedrigen Tür. Celinas Herz klopfte heftig, als Andriana die Hand hob und mit demFingerknöchel an die Tür pochte. Im Innern begann es zu rumoren, dann steckte eine alte Frau mit einem schwarzen Kaftan das runzlige Gesicht heraus. Sie sagte etwas in einer unverständlichen Sprache, das hart und abweisend klang. Celina zog, ohne lange zu überlegen, einen Golddukaten heraus und reichte ihn der Frau. Die Alte biss mit ihren Zahnstummeln darauf, und gleich wurde ihr Gesicht freundlicher.
»Venezia?«, fragte sie. Als Celina nickte, verschwand sie im Inneren des Hauses und kehrte mit einem Brief zurück. Es war der Brief, den Brinello in Celinas Auftrag geschrieben hatte. Im Gegenzug holte Celina den Erpresserbrief aus dem Mantel und zeigte ihn der Alten. Die murmelte etwas in sich hinein und verschwand abermals im Haus. Kurz darauf tauchte sie mit einem Mann wieder auf. Er trug den gezwirbelten Schnurrbart der Osmanen und einen roten Hut auf den schwarzen Kräuselhaaren. Seine scharfen dunklen Augen zogen sich zusammen, als er die beiden erblickte.
»Ihr gekommen, um meine Sklaven auszulösen?«, fragte er.
»Ja, es sind meine Eltern«, antwortete Celina mit fester Stimme.
»Folgt mir!«, sagte der Mann und watschelte ihnen voraus die Gasse entlang. Sie gelangten zu einem anderen Haus in einer Nebengasse. Es war ebenfalls weiß getüncht und mit Mosaiken und Kacheln verziert. Sie betraten einen Innenhof mit einem Römischen Brunnen. Leise plätschernd ergoss sich das Wasser aus drei übereinanderliegenden Schalen in das große Becken. Im Hof standen Terrakottakübel mit Kirschlorbeer, Orangenbäumen und Hibiskus. Ein Duft nach Lavendel wehte herüber. Auf einer steinernen Bank saßen ein Mann und eine Frau und unterhielten sich. Sie waren so in ihr Gespräch vertieft,dass sie Celina nicht bemerkten. Der Mann war groß und kräftig, er hatte graue Haare und wirkte wie ein Aristokrat. Die Frau war ein wenig jünger, hatte volles schwarzes Haar, war in einen Kaftan gehüllt und bewegte ihre feinen weißen Hände heftig beim Reden.
»Vater, Mutter!«, rief Celina aus und eilte auf die beiden zu.
Die beiden schauten zunächst erschrocken auf, dann trat ein Schimmer des Erkennens in ihre Züge. Frau Gargana stand auf, schloss Celina in die Arme und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen.
»Bist du doch noch gekommen, meine Kleine!
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