Die Nonne und die Hure
Wir haben deinen Brief aus Venedig gelesen. Und wer ist die junge Frau?«
»Das ist Andriana, eine gute Freundin, die mir geholfen hat, euch zu finden.«
Ihr Vater, Luigi Gargana, klopfte ihr immer wieder auf die Schulter.
»Wenn du uns das Reisegeld geschickt hättest, wären wir schon lang wieder zu Hause gewesen. Unser Gastgeber, Sulaman Raischi, war so freundlich, uns seine Gastfreundschaft so lange zu gewähren, bis wir zurückkehren konnten. Hast du unsere Briefe nicht bekommen?«
»Ich dachte, ihr wäret von Piraten gefangen genommen und nach Konstantinopel verkauft worden«, stammelte Celina.
»So ist auch gewesen«, meldete sich der Dicke zu Wort. »Ich habe sie von den Uskoken freigekauft und ihnen Unterkunft und Essen gegeben. Ich habe sie nicht als Sklaven gehalten.«
»Dann war alles … es waren alles gemeine Lügen, die Eugenio und Faustina über euch verbreitet haben.«
»Was haben sie denn behauptet?«, wollte ihr Vater wissen.
»Dass ihr bei einem Sturm ums Leben gekommen seid.«
»Die Piraten, die uns gefangen nahmen, versuchten ein Lösegeld zu erpressen«, fuhr Luigi Gargana fort. »Aber da das Geld nicht eintraf, haben sie uns auf dem dalmatinischen Sklavenmarkt verkauft.«
Sie setzten sich zusammen auf die steinerne Bank, Raischi ließ noch einige Polster von einem schwarzen Sklaven herbeibringen sowie Früchte und Getränke, und Celina berichtete den Eltern alles, was seit ihrer Reise vor mehr als einem Jahr geschehen war. Ein bis zwei Tage würden sie Zeit haben, sich über das Wiedersehen zu freuen und vielleicht ein wenig von dieser wunderbaren Stadt kennenzulernen. Celina schlief in einem kleinen Raum in einem Himmelbett mit blauen Vorhängen, auf die silberne Monde, Sonnen und Sterne genäht waren. Raischi begleitete sie tags darauf zu ihrem Schiff. Sie kamen am großen Basar vorbei, der mit seinen Kuppeln, Ladenstraßen und Ständen wie ein eigener Stadtteil wirkte. Es wurde alles angeboten, was das Herz begehrte. Ab und zu sahen sie eine Gaststube, in denen Männer mit Kaftan, Pluderhosen und Turbanen an kleinen buntverzierten Tassen nippten.
»Das sind unsere Kaffeehäuser«, sagte Raischi stolz. »Es sind die ersten, die weit und breit eingerichtet wurden, schon im Jahr 1554.«
»Was ist das für ein Getränk?«, wollte Celina wissen.
»Es ist schwarz, bitter und süß. Angeblich haben es fromme Pilger entdeckt, die sahen, dass Ziegen von bestimmten Bohnen fraßen und dann nicht mehr schliefen. Das kam ihrem Bedürfnis nach ununterbrochenem Gebet nach. Die Kaffeehäuser sind jedoch für Frauen verboten«, fügte er mit einem Seitenblick auf Celina hinzu.
Sie gelangten zum Hafen, in dem es von Fischerbooten und größeren Segelschiffen wimmelte. Der Lärm war ohrenbetäubend. Auf den Pontons im Meer, das kurze,schimmernde Wellen warf, hockten Kormorane. Celina bezahlte beim Kapitän die Schiffspassage für ihre Eltern. Tränenreich verabschiedeten sich Luigi und Palladia Gargana von ihrem Wohltäter Raischi. Gegen die zehnte Stunde stach ihr Schiff in See.
Christoph erwartete ungeduldig die Rückkehr von Celina, ihren Eltern und Andriana. Nachdem auch Brinello und seine Gruppe vom Vorwurf der Ketzerei freigesprochen worden waren, trafen sie sich wieder offen im Haus des Verlegers.
»Es will mir nicht in den Kopf, dass Breitnagel frei herumläuft«, sagte Christoph zu Hans und Brinello, als sie wieder einmal beisammen saßen.
»Er ist reich und hat Einfluss«, entgegnete Brinello. »Wenn sie ihn wegen Verführung einer Nonne belangen würden, müssten sie viele andere ebenfalls anklagen.«
»Wer weiß, was er noch alles anstellen wird«, ließ sich Hans vernehmen. »Breitnagel ist noch weniger zu trauen als den Priestern und Äbten.«
»Wir sollten uns jetzt, nachdem wir freie Hand mit unseren Büchern haben, wieder vermehrt auf ihre Verbreitung besinnen«, meinte Brinello.
»Der Meinung bin ich auch«, antwortete Christoph. »Doch es gibt noch ungeklärte Fragen. Wer war der Mann mit der Totenmaske? Ich fürchte, er könnte Celina wieder gefährlich werden, wenn sie zurückkommt.«
»Der Abt Lion kann es nicht gewesen sein«, meinte Hans, »denn als Celina im Wassergeschoss ihres Hauses fast ertrank, war er schon fort aus der Stadt.«
»Wie können wir uns sicher sein? Wir wissen nur, dass er später bei Breitnagel in Riva war.«
»Aber wer sonst könnte ein Interesse daran haben, Celina zu töten?« Brinello wiegte zweifelnd den Kopf.
»Ich nehme an, dass Lion
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