Die Nonne und die Hure
Celina. »Ich werde morgen zu Andriana gehen und sie um Rat fragen.«
An der Rialtobrücke herrschte das übliche Gedränge. Vom Markt kamen Düfte herüber, die Celina an ihren Besuch in Konstantinopel erinnerten. Sie fand die kleine Wirtschaft am Campo San Bartolomeo. Die Wirtin war gerade dabei, den Boden aufzufegen.
»Bon Giorno, Signora«, begrüßte Celina sie. »Ich habe eine Frage. Könnt Ihr Euch an einen Nachmittag im Frühling dieses Jahres erinnern? Da saß ich mit meinem Onkel und meiner Tante an einem Tisch draußen vor dem Haus. Wir haben etwas gegessen und getrunken.«
»Wir haben viele Gäste in unserer Wirtschaft, sie kommen und gehen, ich schaue sie mir nicht so genau an.«
»Es saß noch jemand an unserem Tisch – ein dicker, ältererHerr deutscher Herkunft. Er hatte ein junges, blondes Mädchen bei sich.«
»Kann mich nicht erinnern. Und jetzt schert Euch raus, ich habe zu tun.«
Celina holte einen Golddukaten aus ihrem kleinen Lederbeutel und hielt ihn der Frau unter die Nase.
»Was ist denn hier los, Grazia?«, fragte der Wirt, ein kleiner, sehniger Mann mit blauer, sauberer Schürze, der aus der Küche hereingekommen war. Als er den Golddukaten sah, funkelten seine Augen. »Was wollt Ihr wissen, meine Liebe?«
»Ist ein Mann namens Alois Breitnagel des Öfteren hier gewesen?«
»O ja, den kenne ich. Nicht wahr, Grazia? Hat immer einen ordentlichen Batzen Geld dagelassen.«
»Hatte er immer Mädchen bei sich?«
»Kann man schon sagen.«
»Könnt Ihr mir auch verraten, wo er mit den Mädchen abgestiegen ist?«
»In der Herberge Larga Magazini , gleich hier um die Ecke. Nette Unterkunft, ich habe sie ihm empfohlen.«
»Dann sagt mir noch, guter Mann, wo sich die Wohnung von Andriana Grimani befindet, der berühmten Kurtisane.« Celina hatte Andriana nie nach ihrer Adresse gefragt, wie sie zu ihrem Missfallen feststellte.
»Wer wird das denn nicht wissen?« Der Wirt leckte sich die schmalen Lippen. »Die Adresse ist Calle Michelangelo 111 auf der Giudecca.«
»Ihr habt mir sehr geholfen«, sagte Celina. Sie verabschiedete sich hastig, rief eine Gondel und ließ sich zur Giudecca hinüberbringen.
Auf der Insel hatte sich nichts verändert. Noch immer war das wie ein Fisch geformte Eiland mit Kirchen und Klöstern bebaut. Celina ließ sich an der Fondamenta dellaZitelle absetzen. Von hier aus waren es nur wenige Schritte bis zur Calle Michelangelo. Die Nummer 111 war eine kleine Villa mit einem schmiedeeisernen Tor und einem großen Garten vor dem pfirsichfarben getönten Haus.
Andriana wohnt aber sehr vornehm, dachte Celina. Es scheint so, als ob man in ihrem Gewerbe sehr weit kommen kann. Eine hübsche junge Frau in einem Kleid aus weichem, rotem Barchent öffnete ihr.
»Was sind Eure Wünsche?«, fragte das Mädchen.
»Ich möchte Signorina Grimani sprechen. In einer dringenden Angelegenheit.«
»Sie ist gerade … beschäftigt. Wen darf ich melden?«
»Celina Gargana. Es ist dringend.«
Während Celina wartete, musterte sie den Garten. Er war rechteckig angelegt, mit Dattelpalmen, Buchsbäumen, Springbrunnen und einem zierlichen, weiß gestrichenen Gartenhaus, das von duftenden Rosen umwuchert war. Ihr wurde ganz eigenartig zumute. Nach einer Weile verließ ein Mann das Haus, der Kleidung nach ein Adliger. Er musterte Celina kurz und eilte davon. Andriana erschien an der Tür.
»Komm herein, Celina«, sagte sie. »Verzeih, dass ich dich nicht gleich empfangen konnte.«
»Ich bin froh, dich überhaupt zu Hause anzutreffen, Andriana.«
Die Kurtisane führte die Freundin durch einen Innenhof mit Springbrunnen in ein Gemach, das mit großen Kissen, Spiegeln und orientalischen Teppichen ausgestattet war. In dem Raum roch es nach Rosenöl.
»Was führt dich zu mir, meine Freundin?«, fragte Andriana.
Was für eine prachtvolle Erscheinung sie doch ist, dachte Celina. Auf dem wohlfrisierten Kopf trug die Kurtisane eine Sella , eine kleine Hörnerhaube verziert mit kostbarenJuwelen und einem Schleier. In der Hand hielt sie ein Fazzoletto , ein mit Spitzen und Stickereien versehenes Taschentuch. Um ihren schlanken Hals hatte sie ein Perlenmedaillon gelegt, und die zierlichen Füße steckten in Zoccoli mit sehr hohen Absätzen.
»Ich bin gekommen, um mir abermals deine Hilfe zu erbitten«, sagte Celina. »Nachdem sich alles zum Guten gewendet hatte, mussten wir feststellen, dass Alois Breitnagel unseren gesamten Besitz an sich gerissen hat, während wir auf Reisen waren und
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