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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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eine Ungeheuerlichkeit! Der Patriarch hatte offensichtlich Gefallen an ihr gefunden. Einen Augenblick lang zögerte sie. Wäre nicht alles viel einfacher, wenn sie sich dem Willen dieses Geistlichen fügte? Es wäre ein Leben in Sünde, aber würde es nicht dem scheinheiligen Dasein im Kloster vorzuziehen sein? Wie lange dauerte es noch, bis auch sie ihre Unschuld verlor? Was sind denn das für Gedanken? schalt sie sich. Sie würde sich in eine noch viel größere Abhängigkeit begeben. Was bedeuteten schöne Kleider, Schmuck, feines Essen, Macht und Ansehen, wenn sie sich einem Mann wie diesem beugen musste?
    »Das kommt für mich nicht in Frage«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich werde einen Weg finden.«
    Der Patriarch kniff die Lippen in seinem schwarzen Bart zusammen, dass sie fast nicht mehr zu sehen waren.
    »Ich mache dir dieses Angebot nur einmal«, sagte er gefährlich leise. »Du kannst es dir noch überlegen und mir durch Suor Mathilda eine Antwort zukommen lassen. Aber lass mich nicht zu lange warten. Einen Patriarchen lässt man nicht warten.«
    Die Fuhrleute aßen und tranken, und je mehr sie dem Bier zusprachen, desto lauter wurde es in der Wirtschaft. In der Nacht schreckte Christoph hoch. War da nicht ein Geräusch gewesen? Es klang, als kratze ein Tier, eine Katze oder Ratte vielleicht, an seiner Tür. Vorsichtig erhob er sich. Sein Herz klopfte schneller als gewöhnlich. Schließlich war er nicht als fahrender Schüler unterwegs, sondern als italienischer Handelsmann. Er wusste nicht, was geschehen würde, wenn man seine wahre Person entdeckte.Mit einem Schwung riss er die Tür auf und blickte direkt in Breitnagels gedunsenes Gesicht.
    »Was habt Ihr hier zu schaffen mitten in der Nacht?«, fuhr Christoph ihn an.
    »Entschuldigt, der Herr, ich habe mich bei der Suche nach dem Abort verirrt.«
    »Der Abort ist draußen. Da seid Ihr recht weit vom Weg abgekommen«, gab Christoph zurück. Er bemerkte, dass Breitnagel einen schnellen, misstrauischen Blick in sein Zimmer warf. Wenn sie den Brenner überquert hatten, musste er sich von diesem Menschen trennen. Grußlos drehte Christoph sich um und schloss die Tür.
    Als er tags darauf den Ledervorhang vom Fenster schob, sah er einen blassblauen Himmel und saftig grüne Wiesen mit Kühen, die klingende Glocken um ihren Hals trugen. Die mächtigen grauweißen Berge schienen ganz in die Nähe gerückt. Diesmal war er der Erste, der seine Milchsuppe vorgesetzt bekam. Er schaute den Wirtsleuten zu, wie sie in der Stube hantierten. Die Frau fegte mit einem Reisigbesen den Boden, und der Mann spülte Becher in einem steinernen Becken. Die Fuhrleute polterten mit geröteten Augen und struppigen Bärten zur Tür herein. In der Nacht sei ein Raub geschehen, berichteten sie. Man habe einem Kaufmann eine Geldkatze mit fünfzig Dukaten gestohlen. Also habe ich mich nicht getäuscht, dachte Christoph. Irgendetwas hat der Breitnagel vorgehabt. Aber er konnte dadurch, dass er ihn vor seiner Kammer gesehen hatte, nichts beweisen.
    Schmatzend verzehrte Breitnagel sein Frühstück. Dann befahl er anzuspannen. Auf der alten Römerstraße zum Brenner begegneten ihnen viele andere Fuhrwerke, die Salz oder Barchent, Öl und Wein transportierten. Die Poststation auf dem Brenner bestand aus einer langgestreckten Hütte mit einem Strohdach. Der Herbergswirt warnte die Gruppe ebenfalls vor dem Weitergehen.
    »Das Wetter schlägt um, ich rieche es förmlich«, sagte der Wirt mit einem bedenklichen Gesichtsausdruck.
    Alois Breitnagel tat, als hätte er nichts gehört. Christoph zögerte einen Moment, ob er nicht allein zurückbleiben sollte. Die Fuhrleute waren ihrem Herrn auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Aber sein Dableiben würde den anderen nichts nützen, und allein war er den Gefahren viel stärker ausgeliefert. So brach er wider besseres Wissen mit den anderen auf. Die Sonne strahlte durch einen milchigen Dunst. Die Straße wand sich in engen Kehren steil den Berg hinunter. Hier oben, jenseits der Baumgrenze, wuchsen zwischen den grauen, flechtenüberzogenen Felsbrocken nur Gräser, Moose und Alpenheidekraut. Die Sonne war bald hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden, ein kühler Wind kam auf und trieb die Nebelfetzen wie Geister um die Bergspitzen. Die Landschaft wirkte grau, und es wurde mit einem Mal eiskalt. Vor Christophs Augen wehten Schneefahnen von den Bergen ins Tal herab. Er sah, wie sich die Luft schwefelgelb färbte. Plötzlich krachte ein

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