Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
Vom Netzwerk:
Donnerschlag, der vielfach von den umgebenden Wänden widerhallte. Christoph zuckte zusammen. Der Wirt hat recht gehabt, dachte er.
    »Lasst uns zurückgehen zur Poststation«, drängte er. Wir laufen in unser Verderben!«
    »Ich kenne mich hier aus«, schnarrte Breitnagel. »Das geht gleich wieder vorbei.«
    Die Wagen ratterten den Berg hinunter; die Pferde waren unruhig geworden und jagten mit rollenden Augen und flach angelegten Ohren dahin. Die Kutscher hatten alle Mühe, die Karren auf dem Weg zu halten. Jeden Augenblick drohte einer der Wagen zur Seite auszubrechen und den Abhang hinabzustürzen. Regen begann niederzugehen, der sich bald mit dicken Schneeflocken mischte.
    Blitze zuckten über den tiefschwarzen Himmel, gefolgtvon immer heftigeren Donnerschlägen. Christoph konnte keine zwanzig Fuß weit mehr sehen, Sturzbäche gurgelten über die Straße und rissen Steine und Erde mit sich. Er hörte ein Rumpeln, als wäre eine Felswand abgebrochen, die sich ihnen mit rasender Geschwindigkeit näherte.
    »Eine Steinlawine!«, schrie einer der Fuhrleute. »Gott steh uns bei!«
    Er bekreuzigte sich und warf sich auf den Boden. Andere schrien oder rannten kopflos durcheinander, ließen die Fuhrwerke im Stich und rutschten, schlitterten und rollten die Abhänge hinab. Das Dröhnen wurde lauter. Dann war sie da. Eine riesige Lawine aus Geröll und Schlamm wälzte sich auf sie zu. Die Ersten wurden weggerissen; ihre verzweifelt rudernden Hände verschwanden bald, ihre Schreie wurden erstickt. Christoph kniete vor einer jungen, starken Latschenkiefer und hielt sich daran fest. Eine feuchte, harte Masse traf ihn mit voller Gewalt, wirbelte ihn herum, bedeckte ihn über und über. Er konnte sich nicht mehr bewegen, alles tat weh, und er bekam kaum noch Luft. Das ist das Ende, dachte er. Hätte er sich doch gegen Breitnagel durchgesetzt! Er glaubte zu ersticken. Es gelang ihm aber, immer noch die Latschenkiefer zu umklammern, zwischen deren Zweigen sich ein Hohlraum gebildet hatte. Er war zwar verschüttet worden, hockte in der Dunkelheit, doch er konnte noch atmen. Schlamm und Geröll drückten auf ihn herab. Was sollte er tun? Wie lange würde die Luft in dem Hohlraum reichen? Auf Hilfe aus der Poststation durfte er sicher nicht hoffen, bei diesem Wetter würde sich niemand hinaustrauen. Er musste allein versuchen, sich zu retten, so lange er noch atmen konnte.
    An seiner Seite spürte er etwas Hartes – es war der Lederbeutel mit den Büchern. Seine Mission! Wie hatte er die vergessen können? Er musste es bis nach Venedig schaffen. Das hatte er versprochen! Er packte den Sack miteiner Hand und begann sich langsam durch die Erdmassen zu graben. Immer wieder geriet ihm Schlamm in den Mund, seine Füße suchten nach einem Halt. Steine drohten auf ihn herabzuprasseln. Einmal verlor er fast die Besinnung. Er meinte Licht zu sehen, das durch das Geröll drang. Mit letzter Kraft stieß er sich empor.
    Endlich konnte er den Kopf aus der Steinlawine heben. Es war wie ein Wunder. Er hatte es geschafft! Tief atmete er die frische Luft ein. Das Unwetter war so schnell verschwunden, wie es gekommen war. Die fahle Sonne beleuchtete eine geisterhafte Landschaft aus Geröll und darin talwärts fließenden Bächen. Kein Laut war zu hören, keine Menschenseele zu erspähen. Christoph arbeitete sich ganz an die Oberfläche. Da stand er nun, völlig verschmutzt und erschöpft, mit einem verdreckten Beutel in der Hand. Er wusste nicht, wohin er sich wenden sollte. Da er sich nicht auskannte, war es vermutlich besser, zurück zur Poststation zu gehen.
    Breitnagel hat nun all diese Leute auf dem Gewissen, dachte er, mit seinem Drängen, seinem Geschäftssinn, seinen unmenschlichen Befehlen und Forderungen. Es geschieht ihm recht, dass er jetzt da unten liegt. Aber trotz allem tat ihm selbst der grobschlächtige Bayer leid. Nach einem stundenlangen Marsch, der ihm wie eine halbe Ewigkeit erschien, erreichte er schließlich die Herberge. Mit Entsetzen in den Augen öffneten ihm die Wirtsleute auf sein Klopfen. Sie hätten es ja gewusst, bei einem solchen Wetter … Christoph konnte vor Erschöpfung nicht antworten. Er entledigte sich seiner Kleider und warf sich auf sein Bett, wo er auf der Stelle einschlief.
    »Ihr könnt Gott auf den Knien danken, dass Ihr davongekommen seid«, bekam er am nächsten Tag von den Wirtsleuten zu hören.
    »Gott habe ich schon gedankt«, erwiderte Christoph. »Und Euch danke ich, dass Ihr meine Kleider

Weitere Kostenlose Bücher