Die Nonne und die Hure
polterte Breitnagel. »Denn sie sprechen nur eine Sprache.« Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Christoph wandte sich an den Wirt. »Bringt uns doch noch eine Lage von Eurem köstlichen Bier.«
Die aufgeheizte Stimmung entspannte sich wieder, während Breitnagel ausführlich von seinen Liebesabenteuern zu berichten begann.
7.
Die Sonne stand tiefer am Himmel, und die Luft über der Lagunenstadt war seidiger und frischer geworden. Wenn der Wind aus Westen blies, merkte Celina vom Geruch der Kanäle nicht mehr viel. Die beiden Nonnen, Giulia und Alessia, nahmen weiterhin an den Gottesdiensten teil und gingen ihrer Arbeit nach, als wäre nichts vorgefallen. Was mit ihren Liebhabern geschehen war, wusste Celina nicht. Wahrscheinlich war es auch besser, nicht zu viel über diese Dinge zu wissen. Sie war gegen ihren Willen in diese Situation hineingezwungen worden und musste versuchen, das Beste daraus zu machen. An ihr Gelübde fühlte sie sich nur insofern gebunden, als sie die Regeln einhielt und ihrer Arbeit im Garten und im Stall nachging. Nachdem der Kompost auf den Beeten verteilt, Äpfel und Pflaumen geerntet waren und in Körben unter den Bäumen standen, ging sie zum Stall hinüber, um die Kühe, Pferde und Schweine zu versorgen. Die Hühner liefen nach wie vor frei im Klostergelände und in den Räumen herum. Eine Untersuchung des Patriarchen würde vor dem nächsten Jahr nicht wieder stattfinden. Die Nonnen hatten zu ihrer alten Fröhlichkeit zurückgefunden, ließen sich weiterhin Gänse, Konfekt, schöne Kleider und süßen Wein von ihren Verwandten bringen. Verstohlenen Blicken und nächtlichen Geräuschen entnahm Celina, dass die Mädchen sich immer noch mit Männern von außerhalb des Klosters trafen. Oder sie entwichen heimlich in der Nacht, um draußen mit einem Liebhaber zusammenzutreffen. Einmal war sie abends ins Besucherzimmer gekommen und sah, wie eine Nonne der anderen das Kleid hochschob. Was war es,das sie zu diesem Verhalten trieb? Celina erinnerte sich ihrer Gefühle, die sie empfunden hatte, bevor sie ins Kloster kam. Hatte sie sich nicht auch nach der Berührung eines Mannes gesehnt? Spürte sie nicht ein seltsames, dunkles Verlangen, wenn sie von ferne ein Liebespaar sah oder wenn sie ein Stöhnen aus der Nachbarzelle hörte? War es nicht ein Frevel, diese jungen Menschen daran zu hindern, ihr Leben zu leben, wie sie es wollten? Dahinter steckten in den meisten Fällen die Eltern, die sich keine Mitgift für ihre Töchter erlauben konnten oder wollten. Wenn sie nur wüsste, was ihren Onkel und ihre Tante umtrieb! Wie kamen die Männer überhaupt in das Kloster hinein, nachdem der Gang, den Giulia und Alessia in die Mauern gehauen hatten, mit einem Eisengitter versehen worden war? Celina hatte Margarethe, die Pförtnerin, im Verdacht und die vielen geistlichen und weltlichen Herren, die nach wie vor im Besucherzimmer aus und ein gingen. Mancher von ihnen hatte auch ihr schöne Augen gemacht, doch sie wollte sich auf so etwas nicht einlassen.
Die Glocke rief zum Mittagsgebet. Celina atmete tief durch und legte den Weg zur Kirche in schnellen Schritten zurück. Während der Terz war sie mit dem Herzen nicht bei der Sache. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um das Kloster und seine Bewohnerinnen. Was sollte aus all dem noch werden? Das konnte kein gutes Ende nehmen. Beim Mittagessen wurde zwar aus der Bibel vorgelesen, aber die Mädchen tuschelten nebenher miteinander. Keiner verbot ihnen den Mund. Wie gewöhnlich fehlten etliche Nonnen. Die kriegen ihr Essen auf den Zimmern serviert, dachte Celina. Sie hätte auch gern mal Gänse- oder Schweinebraten statt Graupelsuppe, Papardelle mit Zwiebelsauce und Salat aus gelben Pomodori gehabt.
Nach dem Mittagessen hatten die Nonnen ihre Vakanz. Celina holte sich aus der Bibliothek die Canzoniere vonPetrarca, ein Bändchen, das noch nicht auf den Index der Verbotenen Bücher gesetzt worden war. Sie schritt durch den Kreuzgang, in dem die Sonne Lichtreflexe in die Ornamente der Bögen malte. Der Brunnen plätscherte sein gleichförmiges Lied. Sie setzte sich auf die Steinbank zwischen Buchsbäumen und späten Rosen und las:
Es regnen bittre Tränen mir aus dem Gesicht
Mit einem Qualwindstoß von Seufzern,
Wenn ich einmal zu Euch die Augen wende,
Für die allein ich von der Welt geschieden.
So groß war Petrarcas Liebe zu Laura, dass er ihretwegen Abschied von der Welt genommen hatte. Celina erinnerte sich an den Tag, an dem sie am Ufer
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