Die Nonne und die Hure
der Brenta gesessen und über die Liebe nachgedacht hatte. Alles war so bedrohlich gewesen, und ihre schlimmsten Ahnungen hatten sich erfüllt. Jetzt war sie einem Netz von Intrigen, falscher Frömmigkeit und Willkür ausgeliefert, ohne eine Möglichkeit, da je wieder herauszukommen. Sie stutzte und hob den Kopf. War das wirklich so? Hatte sie keinerlei Einfluss auf ihr Schicksal? Sie hörte Hummeln um die Blumen brummen, roch den Duft des Lavendels. Und von ferne wehten das Lachen und Singen junger Mädchen herüber. Sie würde nicht in diesem Kloster bleiben, bis sie verfaulte, bis sie alt und grau geworden war. Die Liebe zu Gott kann man auch woanders, anders leben.
Einen Moment lang fühlte sie sich frei.
»Celina!«, gellte ein Ruf vom Kreuzgang her. Suor Mathilda löste sich aus dem Schatten des Bogenganges.
»Celina, ein Bote des Patriarchen ist gekommen. Ich soll dich zu ihm bringen.«
»Was will er von mir?«, fragte sie unsicher und überrascht zugleich.
»Er hat noch Fragen an dich, das Klosterleben betreffend.«
»Warum will er gerade mich sprechen?«
»Deine aufrichtige Art scheint ihm gefallen zu haben. Und jetzt beeil dich, einen Patriarchen lässt man nicht warten.«
Suor Mathilda wandte sich zum Gehen. Gedankenlos steckte Celina den Gedichtband ein und folgte ihr. Sie verließen das Kloster und wandten sich in Richtung der San-Marco-Kirche. Durch den prachtvollen Haupteingang gelangten sie ins Innere. Celina hatte schon öfter Gottesdienste in der Hauptkirche Venedigs besucht und wusste, dass hier die Gebeine des heiligen Marcus aufbewahrt wurden. Was mochte der Patriarch von ihr wollen? Seine Fragen waren doch alle beantwortet worden. Suor Mathilda führte sie zu einer Tür, die vermutlich zur Sakristei führte.
»Sei gehorsam und mache uns alle Ehre.« Mit diesen Worten drehte Mathilda sich um und ging zum Ausgang zurück. Celina ließ den Klopfer, einen Eisenring, an das Holz der Tür fallen.
»Tritt ein«, hörte sie den Patriarchen sagen. Sie straffte ihren Körper und öffnete die Tür. Der Patriarch stand mit dem Rücken zu ihr und betrachtete ein Fresko an der Wand. Langsam drehte er sich um.
»Ich habe dich kommen lassen, weil ich noch einige Fragen zum Leben in San Zaccaria habe«, sagte er.
»Wir haben doch alle Fragen beantwortet, und die Schuldigen sind bestraft worden«, erwiderte Celina.
»Ja, gewiss, die beiden frevelhaften Jünglinge wurden verbannt. Einer für zwanzig Jahre. Sollte er je zurückkommen, wird er mit dem Tode bestraft. Der andere ist jetzt Galeerensträfling. Die beiden können froh sein, dass ihnen nicht etwas abgehackt wurde, was sie noch hätten brauchen können.«
Celina erschrak über die Anzüglichkeit dieser Rede. Sie wusste wohl, was gemeint war.
»Wo stammst du her, meine Kleine?«, fragte der Patriarch.
»Aus Venedig. Ich wurde von meinen Verwandten ins Kloster gebracht.«
»Gefällt es dir dort?« Was sollte sie antworten? Sagte sie, es gefalle ihr, entsprach das nicht der Wahrheit. Wenn sie entgegnete, es gefalle ihr nicht, würde er wissen wollen, warum nicht. Würde sie damit nicht ihre Schwestern und die Äbtissin verraten? Doch was hatte sie mit denen eigentlich gemein?
»Es gefällt mir nicht«, sagte sie daher.
»Was missfällt dir an diesem Leben, das allein Gott geweiht und damit die höchste Ehre für ein junges Mädchen wie dich ist?«, meinte der Patriarch.
»Die Schwestern und auch die Äbtissin leben nicht nach den Geboten des heiligen Benedikt.«
»Das habe ich bemerkt«, meinte er mit einem Augenzwinkern. »Was gefällt dir persönlich nicht daran? Du kannst doch nach den Geboten leben und musst dich nicht an den anderen stören.«
»Ich bin von meinen Verwandten gezwungen worden, den Schleier zu nehmen.«
»Was hast du denn da in deiner Tasche? Ein Buch?«
»Die Canzoniere von Petrarca.«
»Sieh mal an, du magst Liebesgedichte. Und du bist mittellos, nicht wahr?«
Celina stiegen die Tränen in die Augen. »Ja, ich habe keinen Besitz. Aber wir dürfen ja auch nichts besitzen«, setzte sie hinzu.
»Du möchtest das Kloster verlassen? Ich sehe es deinen lebendigen Augen an, wie sie mich anfunkeln. Versuche aber nicht, aus dem Kloster zu fliehen. Das zieht hohe Strafen nach sich, auch bei denen, die dir zu helfen versuchen.«
»Könnte Euer Seligkeit mir einen Rat geben?«
»Wenn du meine Geliebte wirst, kannst du dem Leben im Kloster entkommen.«
Celina verschlug es einen Moment den Atem vor Überraschung. Das war
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