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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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gereinigt und getrocknet habt. Wann wird denn die Straße wieder zu begehen sein?«
    »Es gibt niemanden, der imstande wäre, eine solche Menge Geröll fortzuschaffen. Doch wenn Ihr allein weiter geht, könntet Ihr Euch zum Eisacktal über Gossensass bis Sterzing durchschlagen. Wollt Ihr nicht in Eure Heimat zurück?«
    »Ich habe eine Botschaft für einen Beamten im Fondaco dei Tedeschi«, log Christoph.
    »Dann schaut, dass Ihr nach Bozen weitergeht. Aber versucht es lieber über den Ritten, denn die Kunterschlucht wird immer noch nicht zu passieren sein.«
    Christoph zog seine Geldkatze heraus und kaufte einen Brotbeutel, Schinken, Fladenbrot und eine Wasserflasche, die er unterwegs immer wieder auffüllen würde. Er sagte Lebewohl und stapfte in den Morgen hinaus. Er wollte seinen eigenen Weg gehen. Deshalb mied er die Straße über den Ritten, die von den Kaufleuten gern benutzt wurde, suchte und fand einen Saumpfad durch die Kunterschlucht bei Bozen. Der steile Abstieg zum Boden dieser Schlucht, in die kaum noch Tageslicht drang, kostete ihn viele Stunden und trug ihm ein paar Schürfwunden ein. Doch das bläulich dahinschießende, schäumende Wasser der Eisack, die bizarren Felsformationen, die Farne und Moose am Fluss, Höhlen, in denen das Wasser verschwand und die er durchschwimmen musste, all das prägte sich unauslöschlich seinem Gedächtnis ein. In Bozen verbrachte er drei Tage, um sich zu erholen und seine Vorräte zu ergänzen. Über Trient, Bassano und Padua erreichte er schließlich Venedig, erschöpft, aber zufrieden. Seine Reise über die Alpen an die Adria hatte drei Wochen gedauert.

8.
    Christoph entstieg der Gondel, die ihn vom Festland nach Venedig herübergebracht hatte. Nahe der Rialtobrücke befand sich eine Markthalle, aus der Gerüche von Fisch und Gewürzen herüberwehten. Um die Halle herum herrschte reges Treiben. Überall wimmelte es von Booten, Gondeln, Lasttieren und Menschen. Fässer mit Wein und Olivenöl wurden angeboten, Salz, Orangen, Zitronen und Feigen. Das Fondaco, der Handelshof der Deutschen, besaß einen Eingang zum Wasser hin. Tuchballen wurden von Trägern in den Eingang des Fondaco geschleift, und viele fein gekleidete Kaufleute gingen aus und ein. Ein Wächter kam auf Christoph zu, musterte ihn kurz und fragte nach seinem Begehr.
    »Ich bin ein fahrender Schüler aus dem Deutschen Reich und bitte um eine Unterkunft«, sagte Christoph.
    »Habt Ihr Referenzen?«
    Christoph schluckte und überlegte. »Ich habe bei Philipp Melanchthon in Tübingen studiert und will mich hier in der Buchdruckerkunst bilden.«
    »Es genügt nicht, bei einem Melanchthon studiert zu haben. Habt Ihr Referenzen?«
    Christoph zeigte ihm den Brief von seinem Vater.
    »Folgt mir«, sagte der Mann.
    An der Seite des Wächters gelangte Christoph in den Innenhof des Fondaco. Oberhalb befand sich eine Loggia, die alle vier Seiten des Innenraumes umspannte. Im Erdgeschoss stapelten sich Waren aus aller Herren Länder. An den Seiten waren Ställe für die Pferde angebracht. Es herrschte ein starkes Gedränge, Rufe klangen hin und her.Christoph folgte dem Wächter die Treppe hinauf in das Kontor des Direktors. Er war ein beleibter, grauhaariger Deutscher, edel, aber nicht mit übermäßigem Prunk gekleidet. Nachdem er nach seinem Namen gefragt hatte, schüttelte der Direktor Christoph die Hand und sagte: »Ihr bekommt für einige Tage Kost und Logis und müsst Euch dann nach etwas anderem umsehen. Zuerst aber müsst Ihr Eure Waffen abgeben.«
    Christoph fügte sich dem Befehl. Der Direktor führte ihn in den Korridor mit den Fremdenzimmern. Dann schien ihm etwas einzufallen.
    »Ihr seid Christoph Pfeifer, sagtet Ihr? Es ist ein Brief für Euch gekommen.«
    Er zog das Schreiben aus seinem Wams und händigte es Christoph aus. Der Direktor wies auf eine Zimmertür und entschuldigte sich, er habe viel zu tun. Die Tür war angelehnt. Christoph klopfte vorsichtig, und da sich nichts rührte, spähte er in den Raum. Er war klein und spärlich eingerichtet. Aus einer Ecke hörte er die Töne einer Flöte. Auf einer Truhe saß ein Mensch, wie er noch nie einen gesehen hatte. Seine Arme und Beine waren sehr lang; er saß im Schneidersitz und blies die Backen in seinem bräunlichen Gesicht auf, während er spielte. Bekleidet war er mit grünem Wams, grauen Hosen, und unter dem Filzhut quollen lange, blonde Haare heraus. Als der Spieler ihm seine Augen zuwandte, sah er, dass sie von bernsteingelber Farbe

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