Die Nonne und die Hure
waren.
»Willkommen in diesem Haus deutscher Tugenden«, begrüßte der Spieler Christoph. »Ihr scheint mein neuer Zimmernachbar zu sein.«
»Seid gegrüßt«, antwortete Christoph. »Doch was meint Ihr mit ›deutschen Tugenden‹?«
Der Spieler lachte, dass sein großer Mund zwei Reihen weißer Zähne sehen ließ.
»Arbeitsamkeit, Ruhe, Friedhofsordnung – und nur nicht das Maul zu weit aufmachen.«
Christoph lachte ebenfalls, und der neue Nachbar stellte sich als Hans Leublin vor.
»Meine Eltern waren Nachfahren von Rittern«, sagte er. »Mein Vater hat sich dazu hinreißen lassen, sich wegen einer Fehde mit einem anderen zu schlagen. Das hat er nicht überlebt, und meine Mutter starb aus Gram darüber. Mich hat nichts mehr im Heiligen Römischen Reich gehalten. Ich habe vor Jahren schon mein Bündel geschnürt und bin durch die Welt gezogen.«
»Und womit habt Ihr Euren Lebensunterhalt verdient?«, fragte Christoph.
Hans rollte mit den Augen und ließ einen weiteren Triller seiner Pfeife hören.
»Als Musikant, als Gaukler, als Tröster reicher Witwen …« Er grinste breit.
»Was hat Euch nach Venedig verschlagen?«
»Sag doch ›du‹ zu mir, zwischen uns gibt es keine Standesgrenzen. Venedig wurde mir als die Stadt der Künste gepriesen. Hier lasse es sich gut leben, hörte ich immer wieder. Nichts vom Muff der deutschen Kirche. Außerdem lebt mein Onkel hier, er ist Mitglied im Rat der Zehn.«
Die Offenheit von Hans gefiel Christoph. Er hatte das Gefühl, ihm vertrauen zu können.
»Ich habe aber gehört, dass sich besonders hier die Gegenreformation verbreitet hat. Gegen die Verleger der Stadt werde schlimmer vorgegangen als zu Zeiten der Inquisition.«
Hans senkte die Stimme. »Da sagst du etwas Wahres. Aber man darf nicht laut darüber sprechen, sonst droht die Verbannung. Wer sind deine Eltern? Und woher kommst du?«
Vor Christophs innerem Auge zogen die letzten Jahrevorüber. Es waren Jahre der Flucht und der Vertreibung gewesen. Sollte er sich einem Fremden gegenüber offenbaren?
»Ich wurde in Frankreich geboren«, sagte er schließlich. »Meine Eltern hingen der Lehre Johann Calvins an. Die Gruppe, mit der sie sich trafen, wurde immer größer. Diese Menschen werden jetzt ›Hugenotten‹ genannt. Da sie im Widerspruch zu den Lehren der katholischen Kirche lebten, wurden sie verfolgt und nach dem Edikt von Écouen zum Tode verurteilt.«
Hans fragte betroffen: »Was geschah mit deinen Eltern?«
»Sie wurden gepfählt und öffentlich verbrannt. Ich habe jetzt noch den Geruch verkohlten Fleisches in der Nase.«
»Das tut mir leid für dich«, sagte Hans. »Sie verbrennen die Hugenotten, weil sie sie für Ketzer halten, nicht wahr?«
»Gott und seine Heiligkeit stehen bei den Hugenotten über allem. Alles Menschenwerk wie die Vorstellung von der Hölle, die Sakramente, Reliquien, der Ablass sind für sie der Versuch, die Alleinherrschaft Gottes einzuschränken. Für die Menschen ist vorbestimmt, ob sie gut und zur Seligkeit bestimmt oder böse und auf dem Weg zur Hölle sind.«
Einen Moment lang hatte Christoph alles um sich herum vergessen. Dann fiel ihm der Brief wieder ein.
»Du musst mich entschuldigen. Ich habe einen Brief aus Deutschland erhalten, den ich sofort lesen muss.«
Er brach das Siegel und faltete das Pergament auseinander. Die Anrede in Reinhards großzügiger, schwungvoller Schrift lautete:
»Mein lieber Christoph.«
Das erfüllte ihn mit Wärme. Doch während er weiterlas, begannen seine Knie weich zu werden, und sein Herz pochte wild.
»Was hast du denn mit einem Mal?«, fragte Hans besorgt. »Du bist ja ganz bleich im Gesicht geworden.«
»Der Brief ist von einem Freund …«, stieß Christoph hervor. Er geriet ins Stocken.
»Er schreibt«, stotterte Christoph, »er schreibt, dass die deutsche Delegation der Hugenotten verhaftet und in den Kerker von Würzburg gebracht worden ist. Er selbst konnte sich gerade noch in ein Versteck retten, das er natürlich nicht nennen kann.«
»Dann sei froh, dass der Brief in den habsburgischen Staaten nicht abgefangen wurde.«
»Wahrscheinlich hat ihn ein eingeweihter berittener Bote nach Venedig gebracht.«
»Was willst du nun tun?«
»Ich fühle mich den venezianischen Verlegern verpflichtet und den Gefahren, denen sie ausgesetzt sind«, antwortete Christoph.
»Ich habe, wie gesagt, einen Onkel im Zehnerrat«, sagte Hans. »Da könnte ich dir behilflich sein. Ich hatte immer schon etwas gegen Unterdrückung und
Weitere Kostenlose Bücher