Die Nonne und die Hure
wildesten Träumen erfahrt.«
Celina fühlte sich wie bei schmutzigen Gedanken ertappt und machte eine Bewegung, als wollte sie aufstehen.
»Der Karneval ist ein wenig … zu viel für mich dieses Jahr.«
»Ihr werdet Euch daran gewöhnen«, erwiderte der Mann. Mit diesen Worten erhob er sich und war gleich daraufin der Menge verschwunden. Celina blieb wie betäubt zurück. Sie dachte an Christoph, in dessen Gegenwart sie sich so wohlgefühlt hatte. Der Lärm im Ballsaal schien ihr allmählich zu verebben, die Musik wurde leiser, die Gerüche verflogen. Sie schreckte hoch. Fast wäre sie eingeschlafen. Die Lautenspieler bearbeiteten ihre Instrumente mit aller Kraft, ein Trommelwirbel ertönte, der sich immer mehr steigerte.
Ein heftiger Schreck fuhr Celina in die Glieder. Diese Maske, dieses Kostüm hatte sie vorher nicht gesehen. Eine hohe Gestalt mit schwarzem Kapuzenmantel und weißer Totenmaske bewegte sich unter den Tanzenden. Das schemenhaft weiße Gesicht wandte sich ihr zu, und die rötlichen Augen, die sie in den Augenhöhlen zu erkennen meinte, waren auf sie gerichtet. Unmerklich nickte der Unbekannte und war dann verschwunden. Habe ich mir das nur eingebildet? fragte Celina sich. Vielleicht ist mir der Schrecken so in die Glieder gefahren, dass mir Trugbilder vor die Augen kommen.
»Wer war dieser Mann mit der Totenmaske?«, fragte sie einen dicken Mann, der Zitronen in die Menge warf.
»Was für eine Maske?«, erwiderte er. »Nein, meine Liebe, so etwas gibt es hier nicht.« Er fuhr in seiner Tätigkeit fort.
Bestürzt nahm Celina ihren Mantel und wollte sich zum Gehen wenden. Der Mann mit den Zitronen versuchte sie aufzuhalten, doch sie stieß ihn beiseite und rannte hinaus. Im Zurückschauen glaubte sie den Mann mit der Maske aus dem Haus kommen zu sehen. Sie irrte durch die neblige Stadt, hastete über Brücken, wandte die Augen weg von dem dunklen Wasser der Kanäle und hielt nicht ein einziges Mal inne. Düstere Gedanken rasten ihr durch den Kopf. Was hatte diese Maske zu bedeuten? Wollte der Unbekannte ihr ein Zeichen geben? Wollte er sie töten? Hatte er es eigentlich versucht? Er musste ihr von dem Platz, andem sie mit den anderen gesessen hatte, gefolgt sein. Hatten Eugenio und Faustina etwas damit zu tun, wollten sie ihre Nichte aus dem Weg haben? Fürchteten die beiden, dass sie aus dem Kloster fliehen könnte? Es musste ein Geheimnis geben, dem sie, ohne es zu wissen, näher gekommen war. Celina war so durcheinander, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Nirgends in dieser Stadt fühlte sie sich mehr sicher. Hilfesuchend blickte sie sich um. Sie stand auf dem Platz vor dem Fondaco dei Tedeschi, wo sie am Nachmittag noch mit Eugenio, Faustina, Nanna und ihrem Begleiter gesessen hatte. Sie war also im Kreis gelaufen.
Stiegen nicht alle Deutschen zuerst in diesem Handelshaus ab? Dann musste auch Christoph hier wohnen. Warum war ihr das nicht eher eingefallen? Aber konnte sie zu einem Wildfremden gehen und Schutz suchen? Es blieb ihr gar nichts anderes übrig.
Es war spät in der Nacht, zu dem Nebel war jetzt noch ein feiner, kalter Sprühregen hinzugekommen. Dem Wächter am Tor des Hauses sagte sie, sie wolle einen Verwandten aus dem deutschen Reich besuchen. Der Mann hielt einen Becher Wein in der Hand und lächelte vor sich hin. Die Halle war genauso überfüllt wie die übrigen Häuser und Plätze Venedigs. Celina drängte sich bis zur Treppe vor. Auch hier saßen, lagen und spazierten die Menschen in ihren Kostümen umher. Endlich war Celina oben in dem Gang angekommen, in dem sie die Gästezimmer vermutete. Viele Türen sah sie rechts und links. In welchem Zimmer könnte der fahrende Schüler untergekommen sein? Es blieb ihr keine andere Wahl, als an alle anzuklopfen.
Als sie es bei der ersten Tür versuchte, hörte sie ein Kichern dahinter. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt breit. Was sie sah, ließ sie zurückschrecken. Ein Liebespaar wälzte sich auf einer Decke am Boden, Hüte, Federn,Beinlinge und grellbunte Kleidungsstücke lagen um sie herum verstreut. Bei den nächsten Türen schreckte sie ein weiteres Liebespaar auf. Im nächsten Zimmer schlief, den verschiedenartigen Schnarchtönen nach zu urteilen, ein Familienvater mit seinen Kindern. Schließlich war nur noch eine Tür übrig. Celina glaubte, wieder Schritte hinter sich zu hören, sie sah im Geiste die Gestalt mit der Totenmaske auf sich zukommen. Energisch, wenn auch etwas zittrig, klopfte sie
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