Die Nonne und die Hure
an die letzte Tür. Auf das »Herein« einer angenehmen männlichen Stimme trat sie ein. Christoph saß mit einem schlaksigen jungen Mann mit Bernsteinaugen zusammen. Sie spielten Karten.
»Celina!«, rief Christoph und sprang auf. »Was für eine Überraschung!«
»Ich brauche Hilfe«, stieß sie hervor. Niemals im Leben hatte sie sich vorgestellt, dass sie einmal in eine solche Lage geraten würde.
»Setzt Euch erst einmal«, sagte Christoph und zog ihr einen Stuhl heran.
»Das ist übrigens mein Freund Hans, er kommt auch aus dem Heiligen Römischen Reich, lebt aber schon länger hier. Jetzt erzählt, was Euch widerfahren ist.«
Stockend berichtete Celina vom Besuch der Verwandten, dem Gang mit Eugenio und Faustina durch den venezianischen Karneval, von Nanna und ihrem Begleiter, dem plötzlichen Verschwinden aller und schließlich von der unheilvollen Begegnung mit dem Mann mit der Totenmaske.
»Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen«, schloss sie. »Was hat das alles nur zu bedeuten?«
»Ich weiß es auch nicht«, antwortete Christoph. »Aber wir werden es herausfinden. Die Hauptsache ist doch, dass Ihr hierher gekommen seid, dass wir uns wiedergefunden haben.«
Wiedergefunden? Hatte er etwa nach der Begegnung im Kloster auch an sie gedacht?
»Habt Ihr mich denn gesucht?«, fragte sie zaghaft.
»Und ob«, entgegnete er. »Nicht wahr, Hans? Wie oft habe ich am Tor von San Zaccaria gestanden und bin abgewiesen worden.«
»Ja, so war es«, sagte Hans mit einem Zwinkern seiner bernsteinfarbenen Augen.
Ein warmes Gefühl erfüllte Celina.
»Was wollt Ihr jetzt tun?«, fragte Christoph.
»Ins Kloster kann und möchte ich nicht zurück. Ich weiß nicht mehr, wo ich hingehen soll.«
»An dieser Geschichte stimmt etwas nicht«, sprach Christoph weiter. »Wir sollten uns ein wenig umhören. Und ein Plätzchen für Euch finden wir auch noch.«
»Warum bringen wir Celina nicht zu unserem Verleger Brinello?«, fragte Hans. »Er ist doch als Freigeist bekannt. Und mich hat er ja ebenfalls bei sich untergebracht.«
»Das ist ein sehr guter Einfall«, meinte Christoph.
»Ich könnte mit Schreibarbeiten zu meinem Lebensunterhalt beitragen«, schlug Celina vor. In diesem Moment klopfte es polternd an der Tür.
»Wer ist da?«, rief Christoph scharf.
Die Tür öffnete sich, und ein gutgekleideter Mann in mittleren Jahren stand im Rahmen. Hinter ihm erschienen zwei gewichtige Männer in Amtskleidung.
»Ah, der Herr Direktor dieses ehrenwerten Handelshauses«, begrüßte Christoph den Mann.
»Wir haben Kunde erhalten, dass sich hier eine entlaufene Nonne aus dem Kloster San Zaccaria verbergen soll«, sagte der Direktor laut. »Sie ist heute Abend von einem Ausflug mit ihren Verwandten nicht zurückgekehrt. Wir haben den Auftrag, sie unversehrt dorthin zurückzubringen.«
Wie auf Kommando sprangen Christoph und Hans auf und stellten sich schützend vor Celina. Die Schergen stürzten sich auf die beiden. Die vier Männer rangen miteinander. Der Direktor erbleichte und trat einen Schritt zurück. Celina zuckte bei jedem Schlag zusammen und brachte sich hinter dem Tisch in Deckung. Der Direktor rannte davon, um Hilfe zu holen. Es ging so schnell, dass Celina dem Geschehen vor ihren Augen kaum folgen konnte. Hans drängte seinen Gegner in eine Ecke des Zimmers und streckte ihn mit einem Faustschlag zu Boden. Der andere fiel, von Christoph attackiert, gegen einen Stuhl, der krachend umfiel.
Der Mann lag auf dem Boden und fluchte. Hans nutzte die Gelegenheit, um zwei Kostüme und Masken aus der Truhe zu holen, einen Pantalone mit schwarzem Bart und eine Fuchsmaske.
Sie kleideten sich in Windeseile um; Celina setzte ebenfalls Maske und Hut auf. Der Verletzte, der neben den Stuhl hingesunken war, rappelte sich auf und wollte Christoph erneut angreifen. Christoph trat ihm gegen das Bein, was neue Flüche hervorrief.
Celina, Hans und Christoph liefen aus dem Zimmer, die Treppe hinunter, und mischten sich unter die Tanzenden. Der Direktor war inzwischen mit drei Helfern zurückgekehrt; sie gingen schnellen Schrittes in Richtung von Christophs Zimmer. Gleich darauf erschien er oben an der Treppe.
»Haltet sie!«, schrie er aus Leibeskräften. »Haltet die Verbrecher!«
Der Direktor kam die Treppe herunter, stellte sich an den Rand der Tanzfläche, dicht gefolgt von seinen Begleitern. Angestrengt suchte er die Gesichter der Anwesenden ab.
»Er darf uns nicht entdecken«, raunte Christoph Celinazu. Er nahm sie
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