Die Nonne und die Hure
durch die Allmacht Gottes,
Durch höchste Weisheit und durch erste Liebe.
Vor mir entstand nichts, als was ewig währet,
Und ew’ge Dauer ward auch mir beschieden;
Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren.
»Das Tor zur Hölle«, sagte Brinello. »Der Dichter hat den Menschen damit einen Spiegel vorgehalten. Jede Sünde, jedes Laster, das er auf Erden hat, muss er in entsprechender Weise in der Hölle büßen.«
»Es hat mich sehr beeindruckt«, meinte Celina. »Aber vieles verstehe ich nicht. Wer sind die Schatten, die sich immer wieder einschalten?«
»Es sind die Seelen berühmter Zeitgenossen, die das Gespräch zwischen Vergil und Dante beeinflussen. Die ›Göttliche Komödie‹ ist ein Bilderbogen der letzten dreihundertJahre und eine Chronik der Skandale. Die Bewohner der Hölle sind die privaten und politischen Verbrecher unserer Welt.«
Celina schlug das Buch auf, das vor ihr auf dem Tisch lag. Sie blätterte ein paar Seiten um.
»Und was bedeutet zum Beispiel dieser Satz hier: Du musst auf einem andren Wege gehen/ wenn du dieser Wildnis willst entfliehen « ?
»Dante hatte sich in einem Wald verirrt. Er strebte zum Berg der Tugend, wurde jedoch von einem Panther, dem Sinnbild der Wollust, einem Löwen, der für Hochmut steht, und einer Wölfin, der Habgier, in ein finsteres Tal abgedrängt.«
»Das hat etwas mit den sieben Todsünden zu tun, nicht wahr?«, fragte Celina.
»Ja, auch um die geht es. Im Purgatorio führt Dante die sieben Todsünden ein. Auf jeder der Terrassen des Berges findet die Reinigung von einer der Sünden statt. Die schlimmste Sünde findet sich unten, die am wenigsten schlimme oben. Stolz, Neid, Zorn, Faulheit, Geiz, Gier und Lust, so heißen diese Sünden.
In diesem finsteren Tal nun begegnet er dem römischen Dichter Vergil, der ihn durch die Hölle und auf den Läuterungsberg begleitet.«
»Was ist das, was die Seelen im Fegefeuer erleben?«
»Es ist eine Umkehrung ihrer Laster. Habgierige müssen auf ewig an den Dingen kleben, schieben Felsbrocken vor sich her. Gewalttäter verstecken sich in einem kochenden Blutstrom, während schreckliche Teufel sie beschießen. Schmeichler sitzen in ihrer eigenen Kloake, Wahrsager tragen ihr Gesicht auf dem Rücken, Stifter von Zwietracht werden von anderen Teufeln wieder und wieder zerhackt – und die Verräter liegen eingefroren im Eissee Cocytus, dem tiefsten Kreis der Hölle.«
»Die Hölle ist laut Dante der Sitz von Luzifer«, schaltete sich Christoph ein. »Sie ist ein Trichter, der durch den Sturz Luzifers mit seinen Engeln entstand. Die zurückgedrängte Landmasse ist der Läuterungsberg. Hinter dem Höllentor nun liegt die Vorhölle – die eigentliche Hölle ist in neun Kreise unterteilt, je nach der Schwere der Verbrechen.«
»Die Selbstmörder büßen im zweiten Ring ihre Schuld«, sagte Celina. »Sie müssen als Sträucher und Bäume ihr Dasein fristen und werden immer wieder von den Harpyien zerzaust. Sie haben sich von ihrem Körper losgerissen, denn was man selbst sich nahm, darf man nicht haben.«
Christoph sah sie verwundert an. »Wie kommt Ihr auf Selbstmord?«
»Als ich in das Kloster gesteckt wurde, hatte ich das Gefühl zu sterben. Mein Leben schien beendet zu sein.«
Christoph lächelte sie an. »Nicht nur wegen der Hölle solltet Ihr nicht daran denken«, meinte er. »Es ist keine Lage so aussichtslos, dass nicht irgendwo ein Funke Hoffnung bestehen bleibt.«
»Der achte Höllenkreis ist für mich von großer Bedeutung«, fuhr Brinello fort. »Er ist in zehn Ringe unterteilt. Im ersten schleppen sich Kuppler und Verführer einen Graben entlang. Sie werden von gehörnten Wesen mit Peitschen getrieben. Schmeichler und Huren wälzen sich im zweiten Graben in ätzendem Kot. Im dritten Graben sieht Dante die Simonisten: Betrüger, die schwunghaften Handel mit Kirchenämtern betrieben. Sie stecken in Felsenlöchern fest, aus denen nur ihre brennenden Sohlen herausragen. Der fünfte Graben ist mit kochendem Pech gefüllt, in dem die Träger öffentlicher Ämter büßen, die sich der Bestechung schuldig gemacht haben.«
Hans, der bisher nur zugehört hatte, wurde auf einmal hellwach. »Diese Beschreibung trifft auf die heutige Situationzu«, sagte er erregt. »In der Serenissima stinkt es nach Korruption und allen Todsünden dieser Welt!«
»Was bedeuten Dantes Verse für uns selbst, für unsere heutigen Verhältnisse?«, wollte Celina wissen.
»Es liegt sicher ein symbolischer Gehalt darin«,
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