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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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fest in den Arm und legte seinen Kopf an den ihren. Sie spürte seine Wärme und Nähe und war verwirrt. Eine ganze Zeit tanzten sie eng umschlungen, dann wagte Celina einen Blick zum Direktor. Er war nicht mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatte er gedacht, sie seien nach draußen geflohen. Hans tanzte mit einer schönen Maskierten. Er verbeugte sich vor seiner Tänzerin. Erhitzt lösten sich Celina und Christoph voneinander. Die drei bahnten sich einen Weg zum Rand der Tanzfläche und verließen das Fondaco.
    Der Wächter lag schlafend am Boden. Draußen war es kalt, der Nebel war noch dichter geworden. Auf dem Weg zum Haus des Verlegers begegnete ihnen eine Gruppe von Spätheimkehrern, beachtete sie jedoch nicht weiter. Brinellos Haus stand am Rio di Ca’ Dolce in Castello; in diesem Stadtteil war Celina nur selten gewesen. Es war ein kleiner, etwas heruntergekommener Palazzo mit der Büste eines griechischen Jünglings im kleinen, buchsbaumgesäumten Garten. Durch einen Torbogen, an dem eine Pfanne mit glühenden Kohlen befestigt war, konnte Celina das schwarz glänzende Wasser des Rio di Ca’ Dolce sehen.
    Signor Brinello öffnete ihnen in einem Schlafgewand aus Brokat. Er war mittelgroß und sehnig; sein Gesicht war kantig, die Haut großporig und mit Pockennarben übersät, die wie kleine Krater wirkten. Sein dunkles, kurzes Haar hatte an den Schläfen einen Grauschimmer. Über Celinas Anwesenheit schien er nicht erstaunt zu sein.
    »Seid Ihr des Feierns müde?«, fragte er, und ohne die Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Ich mache mir ja nichts aus dem Karnevalstreiben. Viel lieber sitze ich mit einem guten Buch am Kamin. Heute ist es allerdings später geworden als sonst.« Er führte sie in seinen Salon, in dem ein Feuer in einem Kamin brannte. Um seinen bequemen Stuhl herum lagen Bücher und lose, beschriebene Blätter.
    Nachdem Brinello allen Platz angeboten hatte, erklärte Christoph ohne weitere Umschweife: »Wir drei brauchen eine Unterkunft für eine gewisse Zeit.«
    »Und da habt Ihr an mich gedacht? Was habt Ihr denn ausgefressen?« Er schaute Celina an.
    »Ich gelte als entlaufene Nonne, und ich weiß, dass demjenigen eine Strafe droht, der solchen Personen Unterkunft gewährt. Ich hätte mich nicht an Euch gewandt, wenn ich einen anderen Ausweg gesehen hätte«, sagte sie hastig.
    »Ihr seid eine hübsche junge Frau«, meinte Brinello. »Was hat Euch dazu getrieben, in ein Kloster zu gehen?«
    »Mein Onkel und meine Tante haben mich dorthin gebracht.«
    »Ach, darum geht es«, entgegnete Brinello. »Viele Familien entledigen sich ihrer Töchter auf diese Weise. Es ist keine Frage, ich nehme Euch in meinem Hause auf. Ihr dürft aber in den nächsten Tagen nicht ausgehen.«
    »Das ist kein Hindernis«, meinte Christoph. »Wir beide arbeiten ja hier. Und Celina hat angeboten, bei Schreibarbeiten zur Hand zu gehen.«
    Sie saßen also im Hause des Verlegers Brinello fest. Wenn Celina aus den Fenstern des Hauses blickte, sah sie die Mauern der gegenüberliegenden Häuser, roch den Gestank des Kanals. Ratten schwammen im Unrat, der das Wasser bedeckte. Am Himmel jagten schwarze Wolken dahin, und immer wieder regnete es wie aus Kübeln. Manchmal mischten sich Schneeflocken in die Tropfen. Die Männer gingen ihrer Arbeit nach, und Celina besuchte sie im Druckraum, in dem es nach Schwärze und Terpentin roch. Wie angekündigt, übernahm sie einen Teil von Brinellos Schreibarbeiten; sie schrieb Gedichte ab, die Kunden bestellt hatten, verfertigte Rechnungen und kopierte säuberlichdiverse Handschriften. Zwischendurch stattete sie der Bibliothek Besuche ab. Hier fühlte sie sich zu Hause. Sie entdeckte neben einer in schönes Leder gebundenen Lutherbibel die Werke des Humanisten Erasmus von Rotterdam, schöngeistige Bände von Dante, Petrarca, philosophische Abhandlungen von Platon, Aristoleles und schließlich das Buch einer Philosophin namens Tullia d’Aragona. Sie verschlang alles, dessen sie habhaft werden konnte. Abends saß sie mit Christoph, Hans und Brinello beim Schein eines Talglichtes, die Weinbecher vor sich auf dem Tisch, las den anderen vor und disputierte mit ihnen über das Gelesene.
    »Das hier ist aus Dantes ›Göttlicher Komödie‹«, sagte Celina mit leuchtenden Augen und deklamierte:
    Der Eingang bin ich zu der Stadt der Schmerzen,
    Der Eingang bin ich zu den ew’gen Qualen,
    Der Eingang bin ich zum verlor’nen Volke,
    Gerechtigkeit bestimmte meinen Schöpfer,
    Geschaffen ward ich

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