Die Nonne und die Hure
auch Ihr habt Euch strafbar gemacht, weil Ihr einer geflohenen Nonne Unterschlupf gewährt habt.«
»Hier seid Ihr in Sicherheit, Celina, Ihr dürft Euch nicht wieder in Gefahr begeben. Denkt an den Mann mit der Totenmaske!«
»Gerade seinetwegen muss ich da hin. Vielleicht hat er etwas damit zu tun!«
»Also, gut.« Brinello gab sich geschlagen. »Zieht Euch etwas anderes an, am besten Männerkleidung, so dass man Euch im Gewühl nicht erkennt.«
Nachdem Celina sich umgezogen hatte – Beinlinge, ein schwarzes Wams, darüber einen langen Mantel und ein Männerbarett –, verließ sie mit den drei Männern das Haus. Auf dem Weg zum Canale Grande begegneten ihnen zerlumpte Gestalten, aufgeputzte Huren, raue, rotgesichtige Männer und alte, gebeugte Frauen. Händler priesen ihre Waren an, Boote durchquerten die Kanäle, beladen mit den Gütern aus der großen Welt. Sie nahmen ein Boot zur Giudecca. Der Kanal war aufgewühlt, Wellen schlugen gegen den Rumpf des Bootes. Am Rio delle Convertite hatte sich eine Menschentraube versammelt. Der Verleger bahnte ihnen einen Weg zu der Toten. Das Mädchen trug ein Franziskanerinnengewand; um sie herum hatte sich eine schmutzige Pfütze gebildet. Das Gesicht, schön und bleich mit schwarzen Rändern um die Augen, war aufgequollen. Die Tunika war hoch gerutscht; auf dem rechten Oberschenkel sah Celina das Zeichen eines Löwen, das in roten und schwarzen Lettern eingebrannt war. Der Löwe von San Marco – Symbol der venezianischen Macht. Arme und Beine der Toten waren merkwürdig verrenkt. Man hatte anscheinend versucht, sie wieder in eine ordentlicheLage zu bringen. Die Finger waren blau und mit geronnenem Blut bedeckt.
Celina wurde es übel. Die arme junge Frau! Warum hatte es ausgerechnet sie treffen müssen? Waren nicht die anderen Nonnen ebenfalls gefährdet? Und war nicht auch sie selbst gefährdet?
Sie entdeckte Nanna bei den Umstehenden. Ein großer Mann, offensichtlich Angehöriger der Signori della Notte , redete heftig auf sie ein. Einen Moment lang trafen sich ihre und Nannas Augen. Es waren große, traurige Augen, in die auf einmal ein Ausdruck des Erschreckens trat. Nanna sah schlecht aus, bleich und eingefallen, das blonde Haar stumpf. Sie kam langsam näher, blieb dicht vor Celina stehen und murmelte mit gesenktem Kopf:
»Ich habe den Auftrag festzustellen, wer die Leiche ist. Eine der Nonnen in Convertite ist seit gestern abgängig. Es ist die Tote. Der Rat hat angeordnet, sie so schnell wie möglich unter die Erde zu bringen.«
»Aber was genau ist passiert?«, fragte Celina fassungslos.
Statt einer Antwort legte Nanna den Finger auf die Lippen. »Lass es sein, wie es ist, Celina. Du änderst nichts am Lauf der Dinge.«
Sie wandte sich an den Mann der Signoria. »Es ist Lukrezia, eine Nonne aus dem Kloster Convertite.« Bei diesen Worten strömten ihr die Tränen über das Gesicht.
Celina ging einen Schritt auf die Nonne zu, um sie in den Arm zu nehmen. Nanna stieß sie jedoch fort.
»Mir kann niemand helfen«, flüsterte sie. »Doch gib auf dich acht, Celina.«
Von einem Büttel wurde sie fortgebracht; die Menge wich auseinander und ließ ihnen eine Gasse frei. Celina und die drei Männer begaben sich zurück zum Haus des Verlegers. Unvermittelt, nachdem sie den ganzen Weg betretengeschwiegen hatten, sagte Hans: »Ich kenne mich ein wenig aus mit der Heilkunde. So wie die Tote ausgesehen hat, kann eigentlich nur Gift die Todesursache gewesen sein.«
»Was denn für ein Gift?«, fragte Celina entsetzt.
»Arsenik, vermute ich.«
»Woraus entnehmt Ihr das?«
»Aus der Art der Verrenkungen. Sie muss einen schrecklichen Todeskampf ausgefochten haben.«
»Dann muss man ihr aber eine beträchtliche Menge eingeflößt haben«, meinte Brinello.
»Ja«, antwortete Hans. »Die Päpste der Familie Borgia haben ihren Feinden, oft waren es Kardinäle, das Gift heimlich ins Essen mischen lassen und sie so langsam zu Tode gebracht.«
»Aber wer kann so etwas tun? Warum sollte jemand eine unschuldige Nonne ermorden?«, rief Celina.
»Wer weiß, ob sie nicht einen Liebhaber gehabt hat«, meinte Hans. »Es wäre nicht der erste Mord aus Eifersucht in unserer Stadt.«
»Möglicherweise geht auch ein Frauenmörder um«, warf Christoph ein.
»Die Gestalt mit der Totenmaske …«, vollendete Celina den Satz.
Sie schauderte bei der Erinnerung.
Brinello blickte sie von der Seite her an. »Hat diese Person etwas gesagt oder sonst etwas getan, als sie Euch
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