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Die Nonne und die Hure

Die Nonne und die Hure

Titel: Die Nonne und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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und die Insel Giudecca.
    »Habt ihr gewusst, dass die Giudecca der fernste Kreis der Hölle in Dantes ›Divina Commedia‹ ist?«, fragte Brinello.
    »Ja«, antwortete Christoph. »Es ist der Platz der Verräter.«
    »Genau der richtige Platz für uns«, scherzte Hans, nachdem er sich kurz umgesehen und sich vergewissert hatte, dass keine Menschen in der Nähe waren. Sie gelangten zu einem kleinen, etwas verfallenen Palazzo, der an einem der Seitenkanäle stand. Im primer piano hatten sich etwa fünfzehn Personen versammelt. Sie saßen auf Holzstühlen, auf Truhen oder standen, miteinander redend, an die Wand gelehnt. An den Wänden hingen verblasste, teilweise von Feuchtigkeit zerstörte Bilder, und der Putz bröckelte von den Wänden. Einer der Anwesenden begrüßte die drei.
    »Es sind Freunde«, sagte Brinello »Ihnen können wir bedingungslos vertrauen.«
    »Ich bitte nun um Euer Gehör, verehrte Herren Verlegerund Buchdrucker«, rief ein Mann mit grauen, etwas strubbeligen Haaren, einem Einglas und einem Spitzbauch. »Wir haben uns heute versammelt«, fuhr er fort, »um über unsere bedrohliche Lage hier in dieser Stadt zu beraten. Ich bitte nun um Wortmeldungen und Berichte.«
    »Das ist Pedro Corregio, ein führender Verleger dieser Stadt«, flüsterte Brinello Christoph zu.
    Zunächst herrschte Schweigen. Die Anwesenden sahen vor sich hin, als hätten sie Bedenken, sich öffentlich über ein so gefährliches Thema zu äußern. Schließlich trat ein kleiner, gedrungener Mann mit bleichem Gesicht vor. Er nahm seine Mütze ab, drehte sie zwischen den Händen und begann: »Ihr werdet es mir nicht übelnehmen, wenn ich mich kurzfasse und nur Andeutungen darüber mache, was mit unseresgleichen schon geschehen ist in den letzten Jahren. Und es geschieht jeden Tag von neuem, hier, in Florenz, in Rom, in Paris, in Augsburg und in Spanien. Ich möchte nur die pena erwähnen, die vorsieht, jedem, der eines der verbotenen Bücher auch nur anfasst, die Finger abzuhacken. Antonio Michele Ghislieri ist vor zwei Jahren als Großinquisitor für die Städte Como und Bergamo eingesetzt worden, und er verfolgt nicht nur angebliche Ketzer mit aller Härte, sondern auch Juden. Man sagt, er sei für die Wahl des nächsten Papstes vorgesehen.«
    »Welche Bücher stehen nun eigentlich auf dem Index?«, fragte einer der Anwesenden. »Es wird so ein Geheimnis darum gemacht.«
    »Es sind etwa tausend«, antwortete der Sprecher. »Die Konsultoren und Berater des Inquisitors in Venedig haben, wie wir alle wissen, 1554 einen Index für unsere Stadt herausgebracht. Alle Schriften von angeblichen Häretikern, also das, was gegen die herrschende Lehrmeinung der Kirche verstößt, alle Schriften über Astrologie, Hellseherei und Magie. Darüber hinaus alles, was in der Volksspracheverfasst ist und nicht in Lateinisch. Das betrifft vor allem die Bibel. Erasmus von Rotterdam steht ebenso auf dem Index wie Machiavelli, der als verabscheuungswürdiger Ketzer gilt. Thomas von Aquin und die Autoren und Besucher der Frankfurter Buchmesse. Nachdem Johann Gutenberg, der in Frankfurt lebte, den Umschwung im Buchdruck hervorgebracht hatte, ist diese Stadt mit den Buchdruckern Johann Fust, Peter Schöffer und Konrad Henckis den Inquisitoren ein Dorn im Auge.«
    »Die Frage ist doch: Wie können wir den drohenden Verfahren und den Bücherverbrennungen entgegenwirken?«, meldete sich Christoph zu Wort.
    »Eines möchte ich unbedingt klarstellen«, sagte Brinello und trat vor. »Die Inquisition arbeitet im Geheimen; es ist keinerlei Öffentlichkeit zugelassen bei den Prozessen. So müssen auch wir uns ebenfalls absolute Geheimhaltung auferlegen. Ein falsches Wort zu irgendeinem Menschen, und der Denunziation ist Tür und Tor geöffnet. Die Bücher hat jeder von uns hoffentlich in einem sicheren Versteck.«
    »Da gibt es dann den einen oder anderen Besucher, der spät in der Nacht auf ein Glas Zypernwein vorbei kommt …«, meinte Hans.
    »Scherz beiseite«, fiel ihm Christoph ins Wort. »Ich frage mich, wovon wir leben sollen, wenn wir weder drucken, kaufen noch verkaufen können.«
    »Es gibt einige Gönner in dieser Stadt und nicht nur hier. Selbst im Zehnerrat soll einer sitzen, der unserer Sache geneigt ist.«
    »Ich kenne diesen Mann«, sagte Hans. »Er ist mein Onkel. Und ich werde ihn demnächst wieder einmal aufsuchen.«
    »Sagt ihm meinen allerherzlichsten Gruß«, antwortete Corregio.
    Ein lautes Pochen ertönte unten an der Tür. Christoph fuhr

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