Die Nonne und die Hure
die mir große Sorge bereiten«, antwortete Nanna. »Du erinnerst dich doch an die toten Nonnen, die aus den Kanälen gefischt wurden.«
»Ich erinnere mich sehr gut daran. Und ich glaube zu wissen, dass du, ich und weitere Nonnen in Gefahr sind.«
»Gerade deshalb bin ich gekommen. Mit diesen Toten hat es nichts Geheimnisvolles auf sich. Es waren Unglücksfälle, sonst nichts. Der Rat der Zehn hat daher nicht zu Unrecht beschlossen, darüber Stillschweigen zu bewahren.«
»Aber wenn es Unglücksfälle waren – was ich nicht so recht glauben kann –, müsste nicht doch eine Untersuchung darüber eingeleitet werden?«
»Ich möchte dich davor warnen, Celina, dieser Sacheweiter nachzugehen. Es ist manchmal besser, wenn man bestimmte Dinge nicht weiß. Du würdest dich selbst und andere in Gefahr bringen, wenn du diese Sache nicht auf sich beruhen lässt.«
»Woher weißt du …?«
»Das tut nichts zur Sache.«
Celina war überrascht, wie unfreundlich Nanna plötzlich klang. War sie deshalb gekommen – um sie daran zu hindern zu versuchen, etwas herauszufinden?
»Darf ich dich etwas fragen, Nanna? Wie bist du in das Kloster Convertite gekommen?«
Nanna sah eine Zeitlang stumm vor sich hin. Dann fing sie unvermittelt an zu sprechen.
»Ich war fünfzehn Jahre alt, als meine Eltern begannen, sich nach einem Mann für mich umzusehen. Ich entstamme der angesehenen Familie Tarabotti, die heute nichts mehr mit mir zu tun haben will. Der Mann, den sie mir aussuchten, war ein Freund der Familie und dreißig Jahre älter als ich. Ein Leben an seiner Seite konnte ich mir nicht vorstellen. Bei einer Abendgesellschaft lernte ich einen jungen Mann aus dem Heiligen Römischen Reich kennen.«
So ähnlich wie bei mir, dachte Celina. Nur war der Anfang ein wenig anders. Aber auch so etwas hätte mir blühen können, wären meine Eltern weniger einsichtig gewesen. Mit Sehnsucht dachte sie an die beiden.
»Was geschah dann?«, fragte Celina.
»Ich brannte mit ihm durch, ging mit ihm nach Cremona, wo wir ein neues Leben aufbauen wollten. Als ich ein Kind erwartete, ließ er mich über Nacht sitzen. Was sollte ich tun? Ich musste zurück zu meiner Familie. Das Kind, einen Jungen namens Timoteo, gebar ich auf dem Landgut meiner Familie. Er lebt heute bei einer Bauernfamilie. Kurz zuvor war das Kloster Convertite als Besserungsanstalt für ›gefallene Mädchen‹ errichtet worden; dort steckten michmeine Eltern hinein. Die Mitgift bekam meine jüngere Schwester Barbara.«
Eine traurige Geschichte, dachte Celina. Wie viele der Nonnen Venedigs mochten eine ähnliche Erfahrung hinter sich haben? Wie viele wurden von ihren Eltern in ein Kloster abgeschoben? Und sie dachte daran, was Tullia über die Unendlichkeit der Liebe gesagt hatte. Wie kam es, dass Nanna diesem Mann nicht hatte widerstehen können?
»Warum bist du von zu Hause weggelaufen?«, fragte Celina. »Hättest du dich nicht mit deiner Familie einigen können?«
»Der Mann – ich bringe seinen Namen nicht mehr über die Lippen – hatte keinerlei Vermögen oder sonstiges Auskommen. Er war ein mitteloser Maler, der nach Venedig gekommen war, um die Künste seiner südlichen Nachbarn zu studieren. Ich konnte mit meinen Eltern nicht darüber sprechen. Meine Hoffnung ist, eines Tages einen Mann zu finden, mit seiner Hilfe aus dem Kloster herauszukommen und ein ehrbares Leben zu führen.«
»Was hindert dich daran, es schon jetzt zu tun, Nanna?«
Die junge Frau zögerte abermals mit der Antwort. »Es ist mein Gelübde. Ich habe den Schleier genommen und Gott meine Treue geschworen. Nur ein Priester kann mich von diesem Eid entbinden.«
Sie seufzte tief und sah sich gehetzt um. »Ich muss jetzt wieder gehen«, erklärte sie dann und wischte sich über die Augen. »Bevor jemand mein Fortgehen bemerkt.«
»Warum bist du wirklich gekommen, Nanna?«, wollte Celina wissen.
»Um dich zu warnen, aus keinem anderen Grund. Hör auf, dich in die Angelegenheiten anderer einzumischen!«
»Ich verspreche dir, dass ich nichts tun werde, was dich oder jemand anderen gefährden könnte. Woher wusstest du, dass ich auf dieser Insel bin?«
»Ich habe gesehen, wie sich dein Freund hinüberrudern ließ.«
Die Insel San Clemente war der Giudecca vorgelagert, daran hatte Celina nicht mehr gedacht. Sie schwieg.
»Am besten verschwindest du von hier!«, rief Nanna, drehte sich um und lief aus der Tür zum Strand hinunter.
Gott behüte dich, Nanna, ging es Celina durch den Kopf. Ich
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