Die Nonne und die Hure
werde für dich beten.
Als am anderen Tag Christoph auf die Insel kam, war Celina damit beschäftigt, die Angel zum Fischen herzurichten. Die Angel bestand aus einer Weidengerte, an der eine Schnur mit Haken befestigt war. Vorher hatte Celina den Strand nach Ködern abgesucht, nach Muscheln, Schnecken und Sandwürmern. Sie spießte einen Wurm auf den Haken und rief Christoph zu: »Damit will ich heute unser Mittagessen fangen.«
Nachdem sie ihn begrüßt hatte, hob sie ihren Rock ein wenig und watete ins Wasser hinein. Es war hier ziemlich seicht und daher nicht besonders kalt. Christoph folgte ihr und zeigte ihr, wie man die Angel in einem weiten Bogen auswarf. Die Sonne brannte schon ziemlich heiß vom Himmel herab.
»Ich muss dir etwas mitteilen«, sagte Christoph, während er die Angel im Blick hielt. »Wie ich dir gestern berichtete, hat Hans einen Onkel, der Mitglied im Rat der Zehn ist. Dieser Immuti sagt, die Berichte über die Toten seien verschwunden. Auch ärztliche Untersuchungen hätten nie stattgefunden. Das heißt, amtlich hat es diese Todesfälle nie gegeben.«
»Nanna war gestern Nacht bei mir«, entgegnete Celina. »Sie wollte mich davor warnen, mich weiter mit den Unglücksfällen zu beschäftigen, wie sie es nennt. Sie wirkte sehr aufgewühlt und hat mir auch von ihrer Aufnahme imKloster Convertite erzählt. Sie ist als ›gefallenes Mädchen‹ dort hingebracht worden.«
»Glaubst du, dass jemand Zwang auf sie ausübt?«, fragte Christoph.
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich möchte nur in Ruhe und Frieden in dieser Stadt leben, und zwar nicht als Nonne, sondern als Bürgerin.«
»Dazu müsstest du heiraten.« Er lächelte.
»Das habe ich Nanna auch gesagt, aber sie verwahrte sich dagegen – wegen ihres Gelübdes.«
»Und du? Würdest du den Schleier freiwillig wieder abgeben?«
Celina lachte. »Sehe ich wie eine Nonne aus? Eigentlich habe ich meinen Schleier längst abgelegt.«
Der Haken mit den Würmern bewegte sich, und Celina begann die Schnur einzuziehen. Der Fisch, der angebissen hatte, schien ziemlich groß zu sein, gemessen an dem Widerstand, den er leistete. Christoph half ihr beim Ziehen. Zusammen brachten sie einen bläulichen, zappelnden Fisch ans Ufer.
»Das ist ein Wolfsbarsch«, sagte Christoph. Er zog sein Messer heraus und machte einen schnellen, sauberen Schnitt durch die Kehle des Fisches. Bräunliches Blut sickerte heraus. Celina schauderte es ein wenig, aber sie hatte großen Hunger. Sie zündete das Holz an, das sie zuvor gesammelt hatte, nahm den Fisch aus, wusch ihn in der Quelle, zerlegte ihn, bestreute ihn mit Salz und Koriander und legte ein Sträußchen Rosmarinzweige dazu. Das Holz begann zu glühen. Sie stellte eine eiserne Pfanne mit etwas Olivenöl aufs Feuer, und als das Fett Blasen warf, legte sie die gewürzten Stücke hinein. Bald breitete sich ein appetitlicher Duft aus.
»Ich möchte wissen, was wirklich aus meinen Eltern geworden ist«, sagte Celina nach einer Weile des Schweigens. »Meinen Verwandten traue ich nicht mehr.«
»Wir sollten uns einmal in diesem Kloster Convertite umsehen, vielleicht finden wir dort einen Anhaltspunkt«, erwiderte Christoph.
»Man wird uns nicht hineinlassen, fürchte ich. Nanna wird uns auf keinen Fall helfen, so, wie sie sich gestern Nacht verhalten hat«, erwiderte Celina.
Christoph dachte eine Zeitlang nach. Celina nahm die Pfanne vom Feuer. Die Fischscheiben hatten eine goldbraune Farbe angenommen. Sie aßen mit ihren Messern.
»Ich werde Hans fragen, ob er einen Plan von Kloster Convertite besorgen kann«, bemerkte Christoph zwischen zwei Bissen. »Lieber würde ich dich allerdings fern von der Stadt sehen.«
»Ich gehe erst weg, wenn ich das Kloster Convertite gesehen habe«, beharrte Celina.
»Wir halten bald eine Versammlung ab«, meinte Christoph. »Danach werde ich mich um deine Flucht kümmern.«
2. Teil
April bis September 1561
15.
An einem trüben Abend im April waren Christoph, Brinello und Hans auf dem Weg zu einer geheimen Versammlung der Verleger und Buchdrucker der Stadt. Nebel lag über den Kanälen, Booten und Plätzen. Mit einem Traghetto gelangten sie zum Stadtteil Dorsoduro, dem ältesten Teil der Stadt, in dem die ersten Siedler Stämme von Ulmen und Lärchen in den Boden des Meeres gerammt hatten. Heute war es ein Viertel der Fischer und Handwerker, sah man von den Luxusvillen der Reichen ab. Sie durchschritten ein paar Gassen und hatten dann freien Blick auf die Lagune
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