Die Nonne und die Hure
stiegen ins Boot, und der Gondoliere ruderte los. Geisterhaft, von wenigen Kohlepfannen nur spärlich beleuchtet, glitten die Palazzi des Canale Grande an ihnen vorbei. Kurz bevor sie die offene Lagune erreichten, kam ihnen ein anderes Boot entgegen. Darin standen Männer undunterhielten sich. Die Signori della Notte! Es war bekannt, dass sie die Lagune wegen der Schmuggler Tag und Nacht überwachten. Bald waren sie auf gleicher Höhe mit ihnen.
»Bona Notte«, sagte einer von ihnen, offensichtlich der Diensthöchste. »Wohin fahrt Ihr so spät in der Nacht?«
»Die Herren wollen nach Mestre«, antwortete der Bootsführer.
»Zu welchem Zweck?«, fragte der Mann nach.
»Wir machen einen Besuch in unserem neuen Haus«, sagte Brinello. »Dort wollen wir einige Tage bleiben und fischen.«
»Habt Ihr auch Angelzeug dabei?«
Christoph fuhr der Schreck in die Glieder. Das hatten sie vergessen. Hätten sie sich nur besser abgesprochen!
»Alles, was wir zum Angeln brauchen, befindet sich in dem Haus in Mestre«, antwortete Brinello.
»Was ist in der Kiste drin?« Der Diensthöchste blickte sich argwöhnisch um.
»Wäsche«, ließ sich Hans vernehmen.
Der Mann kletterte hinüber in ihr Boot, das bedenklich zu schaukeln begann. Er hob den Deckel der Kiste an. Gott sei Dank hatten sie die Kiste nicht vernagelt, sonst hätte sich diese peinliche Untersuchung noch länger hingezogen. Der Signor griff in die Kiste hinein, wühlte ein wenig herum.
»Ist wirklich Wäsche drin«, rief er, zu seinen Kameraden im anderen Boot gewandt. Er hielt die Hand an sein Barett, sprang in sein Boot zurück, und es fuhr davon. Christoph wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Die suchen nach Schmugglern«, sagte der Gondoliere. »Fast jede Nacht erwischen sie einen. Besonders begierig sind sie auf Bücherschmuggler, Ihr wisst, diese verbotenen Bücher, die auf dem Index des Papstes stehen.«
»Was Ihr nicht sagt«, entgegnete Brinello und zuckte mit den Schultern.
24.
Das Fest im Weingarten von Arcangela hatte seinen Höhepunkt erreicht. Die Musiker, bestehend aus einem Gitarristen, einem Flötisten und einer Triangelspielerin, spielten zu einem Tanz nach dem anderen auf. Viele der Männer hatten sich mit einem weiblichen Gast in eine verwunschene Ecke des Gartens zurückgezogen, und der Kardinal war schon vor einiger Zeit mit Andriana verschwunden. Celina fühlte sich mit einem Mal sehr allein. All diese Menschen waren sich nahe, nur sie hatte niemanden, mit dem sie sich hätte austauschen können. Aber wollte sie wirklich die Nähe, wie sie die anderen zueinander hatten? Ein junger Mann schaute immer wieder zu ihr herüber. Er wird doch nicht … doch schon stand er auf und kam herbeigeschlendert.
»So allein, schöne Frau?«, sagte er mit einer galant angedeuteten Verbeugung.
»Ich fühle mich ganz wohl«, entgegnete sie.
»Lasst mich Euch zu einem Tanz entführen.«
»Mir ist nicht nach Tanzen zumute.« Er setzte sich neben sie auf die Bank und legte ihr den Arm um die Schulter. Sie rückte ein Stück von ihm ab.
»Fasst mich bitte nicht an«, sagte sie leise.
»Wohl eine alte Jungfer?«, antwortete er und stand auf. »So frostig wird man in ganz Rom nicht behandelt.«
Sie fühlte sich leer und wie von innen verbrannt. Ihre Hände und Knie zitterten leicht. Es ist alles zu viel, dachte sie, stützte den Kopf in den Arm und blickte vor sich hin. So fand sie wenig später Andriana, die mit rot glühendem Gesicht aus dem Pavillon kam.
»Was ist mit dir, Celina?«, rief sie besorgt. »Du siehst aus wie der Tod.«
»Es ist mir zu viel«, murmelte Celina.
»Was ist dir zu viel?«, fragte Andriana.
Celina suchte nach Worten.
»Ich kann diese … Wollüstigkeit nicht mehr ertragen, dieses Doppelleben des Klerus. Als Nonne soll man züchtig leben, aber alle hier scheinen sich nicht an das Keuschheitsgebot zu halten. Es widert mich an!«
Andrianas Augen blitzten zornig. »Celina, glaubst du wirklich, dass du schon etwas vom Leben verstehst? Du bist wohlbehütet aufgewachsen, bis das Schicksal dich in ein Kloster verschlagen hat. Na und? Es geht Hunderten, Tausenden so. Und es gibt ebenso viele, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen müssen.«
»Warum sprach dann Tullia d’Aragona von der nichtsinnlichen, der platonischen Liebe als höchster Form?«
Andriana lachte. »Schätzchen, das sind Wortgebilde. Man kann sich eine Philosophie ausdenken, die man als Ideal hinstellt, ob man danach lebt, ist eine andere
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