Die Nonne und die Hure
Sklaven.«
Endlich, es war inzwischen Abend geworden, ertönte ein Hornsignal. Die Reepe wurden losgebunden, und die Ruderer begannen zu arbeiten. Langsam bewegte sich das Schiff aus dem Hafen. Die Lichter der kleinen Stadt Ostia und des fernen Rom waren zu erkennen. Die Luft war weich und warm, der Duft nach Zistrosen zog vom Land herüber. Lange stand Celina an der Reling und schaute in die Nacht hinaus. Das Schiff schlingerte, hielt aber seinen klaren Kurs nach Nordwesten. Das Wasser plätscherte am Rumpf; Celina schmeckte Salz auf der Zunge. Sie fühlte sich glücklich. Es war ihre erste Fahrt über das Meer. Die Worte des Kapitäns kamen ihr in den Sinn. Wenn es im letzten Juli keinen Sturm in der Adria gegeben hatte, dann konnte das Schiff ihrer Eltern auch nicht gesunken sein. Dieser Gedanke gab ihr Hoffnung. Sie war jetzt eine freie Bürgerin der Stadt Venedig und nahm sich fest vor, nach ihrer Rückkehr alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Am nächsten Tag blähte ein frischer Wind das Rahsegel, so dass sie schneller vorankamen. Sie fuhren etwa eine Meile von der Küste entfernt. Das Land am Meer war relativ flach; dahinter ragten die Berge des Apennin auf. Sie passierten eine Gruppe von Inseln, eine von ihnen heiße Elba, erklärte der Kapitän. Im Meer sah Celina fliegende Fische und Delphine, die das Schiff eine Weile begleiteten. Später erreichten sie die Steilküsten der Toskana mit ihren Grotten und blauen Buchten. Am Morgen des dritten Tages sah Celina das Häusergewirr von Genua aus dem Dunst steigen. Am Hafen wimmelte es von Händlern, Schuhverkäufern, Wasserträgern, Seeleuten; schmale, verwinkelte Gässchen mit heruntergekommenen Palazzi empfingen sie, nachdemsie die Überfahrt bezahlt und sich vom Kapitän verabschiedet hatte. An jeder Ecke sah sie ein Heiligenbild oder eine Prostituierte. Sie musste den ligurischen Apennin, eine steil aufragende Bergkette, überqueren. Fast wollte sie der Mut verlassen. Sie fühlte sich sehr allein in dieser traumhaft schönen Landschaft. Pinienwälder zogen sich entlang der Küstenstreifen mit den weißen Sandstränden. An den Steilhängen, unterhalb derer sie auf Ziegenpfaden wanderte, blühten rote Levkojen, Glockenblumen, Liguster und Mohn. Feigenkakteen, Aleppokiefern und Agaven säumten den Weg. Der Duft nach Thymian und wildem Lavendel erfüllte die Luft, Zikaden zirpten ihr spätsommerliches Lied. In größeren Höhen spendeten Buchen, Eichen und Kastanien Schatten vor der sengenden Sonne. Celina sah Dörfer, deren Häuser mit schwarzem Schiefer gedeckt waren; der Anblick von Höhlen und Wasserfällen, die in blaugrüne Gumpen stürzten, versetzte sie in eine poetische Stimmung. Hatte nicht auch Petrarca an so einem Fluss gelebt, an der Sorgue im Süden Frankreichs? Schließlich erreichte sie Parma, die Stadt des Schinkens und des berühmten Käses. Über Mantua und Padua gelangte sie zurück zu ihrem Ausgangspunkt, der Serenissima.
Es war ein warmer Frühlingstag Mitte Mai. Ihr Herz klopfte schneller, als sie bei der Ca’ d’Oro aus der Gondel stieg. Die vertrauten Gerüche stiegen ihr in die Nase, und das Leben an den Kanälen pulste noch ebenso, wie sie es in Erinnerung hatte. Celina war beklommen zumute. Es wusste ja keiner, dass sie den Brief des Kardinals in der Tasche hatte. Aber ob der Zehnerrat ihn als rechtens anerkennen würde? Das Haus des Verlegers Brinello kam in Sichtweite; aus einem Fenster drang Licht. Celina betätigte den Türklopfer. Schritte kamen näher, gleich darauf wurde die Tür geöffnet. Brinello stand im Rahmen und rief:
»Schön, dass du wieder da bist, Celina! Lass dich anschauen:So eine lange Zeit! Gut siehst du aus, die Reise scheint dir gut bekommen zu sein. Komm rein, Christoph und Hans sind ebenfalls da, wir alle haben uns schon die größten Sorgen gemacht.«
Celina folgte ihm durch den Gang ins Wohn- und Arbeitszimmer. Christoph sprang auf und kam ihr rasch entgegen. Wortlos nahm er sie in den Arm. Sie spürte Wärme und einen tiefen Frieden. Nachdem Christoph sie losgelassen hatte, begrüßte sie Hans. Brinello holte Wein, Brot und Käse. Die drei Männer wollten wissen, wie es Celina und Andriana auf ihrer langen Fahrt ergangen war.
»Wenn ich daran zurückdenke, war es sehr abenteuerlich, aber was das Ergebnis betrifft, hätte ich sie mir auch sparen können«, fasste Celina zusammen.
»Was willst du damit sagen?«, fragte Christoph. Er schaute sie unverwandt
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