Die Nonne und die Hure
lang. Und die Situation für die Verleger wird immer brisanter. Der Zehnerrat hat zum wiederholten Mal eine Bücherverbrennung angekündigt, und diesmal will er Ernst machen.«
»Das Buch, das ich in diesem Sommer geschrieben habe, ist ja ebenfalls auf dem Index gelandet«, sagte Celina. »Esist die Geschichte zweier Mädchen. Beide sind in behüteten Verhältnissen aufgewachsen. Beide hatten, so verschieden sie auch von Ansehen und Charakter waren, die gleichen Möglichkeiten, eben die Möglichkeit, die ein Mädchen unserer Zeit hat.«
»Heiraten, den Schleier nehmen oder …«, warf Christoph ein.
»Mich hat interessiert«, fuhr Celina fort, »warum ein Mensch zu dem wird, was er ist, und warum der andere, der gleiche Möglichkeiten gehabt hat, in seinem Leben scheitert. Warum sind die Nonnen, die in die Klöster gebracht wurden, dorthin gekommen? Warum fügen sich einige in ihr Schicksal, warum andere nicht? Habe ich nicht mit eigenen Augen gesehen, wie sich Nonnen als Huren verdingten? Was für ein Geheimnis trägt Nanna mit sich herum? Ist sie so verzweifelt, weil sie als ›gefallenes Mädchen‹ in das Kloster hatte eintreten müssen? In meinem Buch habe ich auch den Abt Cornelli und den Dogen Priuli erwähnt. Ist das der Grund, warum das Buch verboten wurde? Gibt es eine Verwicklung dieser beiden in eine dunkle Geschichte? Dann müssen auch der Zehnerrat, mein Onkel Eugenio und Tante Faustina darin verwickelt sein. Am liebsten würde ich hingehen und es Eugenio direkt ins Gesicht sagen, ihm den Brief unter die Nase halten und ihn fragen, was mit meinen Eltern passiert ist. Und dass er unrechtmäßig ihr Erbe angetreten und mich ins Kloster abgeschoben hat.«
»Brinello hat dir immer davon abgeraten, an die Öffentlichkeit zu gehen.«
»Wie sollen wir anders weiterkommen?«
»Ich weiß es nicht, Celina. Auf jeden Fall hat mich deine Einstellung in dem Buch, dass Liebe zwischen Menschen unmöglich sei, nicht überzeugt. Genauso wenig wie mich Tullia mit der ›Unendlichkeit‹ der Liebe überzeugt hat.«
»Darüber kann man sicher auch nicht schreiben, man muss es erfahren«, sagte Celina.
Einige Tage später erreichte sie eine furchtbare Nachricht: Nanna war tot aus dem Rio Convertite, unweit des Klosters, geborgen worden. Celina erfuhr es auf dem Markt an der Rialtobrücke, von einem Metzger, bei dem sie das Schweinfleisch für das Mittagessen kaufte. Ihr fuhr der Schreck durch alle Glieder. Hatte sie nicht böse Vorahnungen gehabt? Warum hatte es jetzt auch Nanna, die kleine Nonne aus Convertite, getroffen? Celina sah sie vor sich, wie sie in dem Theaterstück mitgespielt hatte, wie sie zusammen mit dem älteren Bürger an ihrem Tisch gesessen, wie gehetzt und geängstigt sie gewirkt hatte. Sie suchte Christoph, Hans und Brinello in der Druckerei auf und berichtete ihnen von dem grausigen Fund.
In aller Eile ließen sie sich nach Giudecca rudern. Nanna war auf dem Fondamento in einer Holzkiste aufgebahrt; sie trug ihr Franziskanerinnengewand. Ihr Gesicht und ihr Hals waren schmutzig-blau, an den Händen hatte sich eine Waschhaut gebildet, so wie Celina es bei den Wäscherinnen an den Kanälen gesehen hatte. An der schwarzen Kutte klebten grünrote Algen, das Gesicht war von Krebsen angefressen, und ein Modergeruch ging von dem toten Körper aus. Celina spürte einen Brechreiz.
»Wie lange hat sie im Wasser gelegen?«, fragte sie einen dicken Mann, der neben der Kiste in die Hocke gegangen war und den Körper untersuchte. Offensichtlich war er Arzt.
»Von der Farbe und dem Algenbewuchs her etwa zwei Wochen. Sie hat Druckstellen am Hals, Zungenbein und Kehlkopf sind gebrochen«, erwiderte der Arzt.
»Dann war es … Mord?«
»Das lässt sich so nicht beantworten«, meinte der Arzt. »Es kann auch durch den Trieb des Wassers entstandensein. Dabei gibt es immer Verletzungen durch Abschürfen von Hautpartien. Die Verletzungen können ebenso von vorbeifahrenden Booten herrühren.«
»Wird die Leiche noch näher untersucht?«, wollte Christoph wissen.
»Der Rat hat angeordnet, die Leiche so schnell wie möglich unter die Erde zu bringen«, sagte der Arzt.
Celina fühlte eine heiße Wut in sich aufsteigen, aber sie sah, dass es zwecklos war, noch weitere Fragen zu stellen. Sie nahm Abschied von der Frau, die auch im Tode und trotz der Entstellungen noch eine klägliche Anmut ausstrahlte. Ein christliches Begräbnis könne sie nicht bekommen, erklärte der Arzt, da sie als ›gefallenes Mädchen‹ in
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