Die Nonne und die Hure
Besatzung des Schiffes wurde getötet. Da die beiden reich zu sein schienen, brachte man sie an Land, wo man sie an mich verkaufte. Ich habe jedoch keine Verwendung für sie, da sie an körperliche Arbeit nicht gewöhnt sind. Ach, was für feine weiße Fingerchen diese Herrschaften doch haben! Um sie lebend wiederzusehen, erbitte ich mir ein Lösegeld von 50 000 Goldscudi, zahlbar innerhalb von zwei Wochen. Das Geld soll bei einer Bank in Venedig hinterlegt werden, wo es ein Unterhändler abholen wird. Im Gegenzug werde ich die beiden auf ein Schiff setzen und sie an Euch zurückschicken.«
Celina wurde es schwindelig. Dies war der Beweis für das, was sie schon länger vermutet hatte. Von Seeräubern gefangengenommen, an einen Sklavenhändler verkauft, der versucht hatte, Lösegeld zu erpressen? Sie schlug die Hände vor den Mund.
»Das ist ja eine Mordssauerei!«, schimpfte Christoph.
»Der Mann, der vorhin hereinkam, war sicher beauftragt, nach dem Rechten zu sehen«, meinte Celina mit etwas zittriger Stimme.
»Jetzt aber nichts wie weg«, rief Christoph ihr zu. »Sonst werden wir doch noch erwischt!«
Nachdem Celina aus dem Fenster geklettert war, landete er mit einem federnden Sprung neben ihr. Celina steckte den Brief in den Ausschnitt ihres Kleides, und die beiden eilten durch das Gassengewirr, über die Kanäle und Brücken zurück zum Haus des Verlegers Brinello.
26.
Der September des Jahres 1561 war ins Land gezogen. Celina wohnte nun schon seit einigen Wochen beim Verleger Brinello. Wenn sie morgens aus dem Fenster schaute, sah sie Federwölkchen über den blassblauen Himmel segeln. Ein leichter Dunst lag über der Stadt. Vom Kanal her drangen die Stimmen der Gondoliere, der Händler und Hausfrauen herauf. Es klopfte an der Tür. Auf ihr »Herein« erschien Christoph. Er sah abgespannt aus. Celina hatte das Gefühl, dass er zu viel arbeitete. Auch er trug ein Geheimnis mit sich herum, dessen war sie sich sicher. Sie hatte ihm viel über sich erzählt. Vertraute er ihr nicht? Warum beschäftigte ihn die Sache mit den Verlegern so sehr? Und warum hatte er sich in die Sache mit den toten Mädchen so hineingehängt? Tat er es ihr zuliebe, Brinello zuliebe? Oder gab es etwas in seiner Vergangenheit, über das er nicht sprechen wollte?
»Willst du mit mir einen Spaziergang machen?«, fragte er. Seine Augen sahen fast flehend aus.
»Wohin möchtest du gehen?«, fragte sie zurück.
»Am Platz von Santo Giovanni e Paolo vorbei zu den Fondamenta Nuove«, sagte er. »Da kann man schön über die Lagune blicken.«
Christoph sagte Brinello Bescheid, dass er eine Pause machen wolle. Sie verließen das Haus des Verlegers am Rio di Ca’ Dolce, passierten viele kleine Brücken. Jetzt, im September, nachdem die große Sommerhitze vorbei war, rochen die Kanäle besonders stark. Die Häuser waren bunt bemalt, aber verfallen. Die Kirche Santo Giovanni ragte gebieterisch über dem Platz auf. Bald waren sie am Ufer angekommen.Hier verlief ein Sandweg direkt an der Lagune entlang. Fischer hatten ihre Netze aufgehängt und reparierten ihre Boote. Gegenüber sah Celina die Insel San Michele mit ihren Zypressen, dahinter Murano und weiter nach Osten Lazzaretto Nuovo, auf der Pestkranke und andere Opfer ansteckender Krankheiten untergebracht waren. Christoph zog Celina auf einen großen Stein.
»Wir haben jetzt den ganzen Sommer mit Nachforschungen verbracht, die allesamt kein Ergebnis zeigten«, sagte er resigniert. »Auch die Befragungen der Familien, aus denen die Opfer stammten, haben nichts Brauchbares ergeben.«
»Doch, schon«, sagte Celina. »Wir haben erfahren, wie sie aufgewachsen sind, eine in einer adligen und daher vom Schicksal begünstigten Familie, die andere in einer weniger begünstigten. Ich habe versucht, ein Buch darüber zu schreiben, wie du weißt. Dabei bin ich darauf gekommen, dass beide Mädchen von ihren Familien geliebt wurden.«
»Du hast einen Roman geschrieben, keinen Tatsachenbericht«, versetzte Christoph. »Und du hast kein gutes Haar am Dogen und der Priesterschaft gelassen.«
»Ich habe das geschrieben, was ich selbst erlebt habe. Daraus kann sich jeder, der es wissen will, sein Urteil bilden.«
»Jetzt wissen wir, dass den Mädchen eines gefehlt hat: die Fähigkeit, sich zu widersetzen. Aber das bringt uns nicht weiter. Außer dem Brief ist kein weiteres Lebenszeichen deiner Eltern aufgetaucht. Schließlich galt die Frist für die Zahlung der fünfzigtausend Scudi nur zwei Wochen
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