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Die Nordischen Sagen

Die Nordischen Sagen

Titel: Die Nordischen Sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Neuschaefer
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Sleipnir, der Dahingleitende.

Die Weltenfeinde
    O bwohl das Reich der Götter wieder neu errichtet war, der Ringwall stand und Odin wusste, dass Heimdall seinen Platz an der Regenbogenbrücke wieder eingenommen hatte, fürchtete er um die Sicherheit Asgards. Tag und Nacht sann er darüber nach, welche Gefahren den Göttern wohl wirklich drohten. Wie sollte er ihnen begegnen, da er noch nicht einmal wusste, von wo sie ausgingen. Zunächst deutete er die Runen, dann holte er auch Mimirs Kopf hervor und fragte ihn um Rat.
    »Ich habe Runen in Holz geschnitten und geworfen. Es kam irgendetwas in Mittelerde raus. Aber wo genau, das konnte ich nicht entschlüsseln.«
    Mimirs Kopf schielte nach den Runenzeichen, die Odin ihm hinhielt.
    »So waren sie angeordnet. Was liest du daraus?«
    »Ich kann sie nicht richtig sehen. Und wie du weißt, fällt es mir schwer, den Kopf zu drehen«, sagte Mimir und rollte mit den Augen, um Odins Blick zu begegnen.
    Als Odin die magischen Zeichen direkt vor Mimir erneut angeordnet hatte, sagte der Kopf: »Odin, du musstnach Midgard, hinunter nach Jötunheim. Geh in den Eisenwald und finde die Höhle des alten Weibes. Dort wirst du Antwort erhalten.«
    Odin hockte sich vor den Tisch, auf dem Mimirs Kopf stand, um mit dem weisen Haupt auf Augenhöhe zu sein.
    »Keiner von uns hat den Eisenwald je betreten.«
    »Dann wird es Zeit«, antwortete Mimir. »Bald wirst du wissen, wer deine Feinde sind. Aber vielleicht solltest du nicht allein gehen.«

    Sobald Skinfaxi, dass Himmelspferd, den Sonnenwagen mit dem Tag heraufzog, brachen die Götter auf. Odin, Thor und der Kriegsgott Tyr. Loki indessen hatte sich aufgemacht, um unerkannt nach Niflheim zu reisen und herauszufinden, ob auch von dort Gefahr drohte.
    Der Eisenwald lag weit im Osten des Riesenreiches, und es dauerte eine Weile, bis die Götter ihn erreicht hatten.
    Dicht an dicht standen die grauen Stämme, und da sie tot und starr waren, mussten die Götter allen Ästen und Zweigen ausweichen, sich ständig bücken, um nicht von den harten kantigen Blättern verletzt zu werden. Eine seltsame Kälte herrschte hier, eine Kälte, die von den Bäumen abzustrahlen schien, die gleichzeitig auch aus dem Boden stieg und gegen die kein noch so dicker Mantel schützen konnte. Odin sah sich nach seinen Gefährten um. Keiner von ihnen sprach ein Wort, hier, wo kein Vogel sang, kein Tier raschelte, keine Blume blühte.
    Mühsam kämpften sie sich voran, bis sie erreichten, was sie am meisten fürchteten. Die kleine schwarze Lichtung, umgeben von hohen Bäumen, an deren Rand sich ein gewaltiger dunkler Erdhügel erhob: Angrbodas Höhle.
    Dann sahen sie sie. Die Götter standen und starrten, und es gefror ihnen das Blut in den Adern, als sie die Ausgeburt erblickten: Die Schlange Jörmungand war so grauenerregend, dass die Götter zurückwichen. Ihre Bewegungen waren schnell und geschmeidig, beinahe schien es, als würde sie über den Boden fliegen. Im Dämmerlicht des Eisenwaldes glänzte ihr schwarzer Körper wie nasser Stein, und sie wuchs mit jedem Augenblick in die Länge und in die Breite. Schon hatte sie sie gewittert. Bevor die Götter noch irgendetwas tun konnten, glitt Jörmungand heran und umkreiste sie, als würde sie etwas suchen. Sie züngelte nervös. Dann, ganz plötzlich, hielt sie vor Thor inne, und der Blick des Biestes saugte sich in seinen.
    Thor begann zu zittern, während in seinem Kopf eine wunderschöne Stimme ertönte: »Ich werde dich töten. Ich werde dich töten. Du gehörst Jörmungand allein.«
    Thor versuchte den Zauber abzuschütteln, er wollte nach Mjöllnir greifen, er wollte auf das Untier zugehen, aber seine Beine gehorchten ihm nicht, und er sackte auf die Knie. Mit größter Anstrengung gelang es ihm, gegen die Stimme in seinem Kopf anzuschreien: »Nein, ich werde dich töten!« Dann brach er zusammen.
    Als Odin seinen ältesten Sohn ohnmächtig im Staub liegen sah, wollte er sich auf die Schlange stürzen, aber auch seine Götterkräfte konnten ihr nichts anhaben. Da erkannte Odin, dass ein Teil der Prophezeiung wahr geworden war: Noch konnte kein Gott die Feindin der Welten töten.
    So sprach er den Bann aus: »Jörmungand, von nun an, bis zum letzten Tag, sollst du im Meer liegen und dein hässliches Haupt vor dem Licht verbergen.«
    Augenblicklich war die Schlange verschwunden.
    Thor stöhnte und kam langsam wieder zu sich. Mit dem Verschwinden der Schlange aber veränderte sich etwas im Eisenwald. Die Kälte

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