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Die Nordischen Sagen

Die Nordischen Sagen

Titel: Die Nordischen Sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Neuschaefer
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nahm zu. Wie eine Woge schlug sie den Göttern entgegen. Und Angrbodas verbliebene Kinder verließen die Höhle. Die Götter standen eng zusammen, als Hel mit gebeugtem Haupt auf sie zuschwebte. Ihre Füße berührten den Boden nicht, und Odin und Tyr hoben ihre Waffen. Dennoch wagten sie nicht, Hel anzurühren, denn sie schien aus zwei Körperhälften zu bestehen: eine Hälfte war bleigrau, wie tot, die andere weiß und schön, wie die einer lebenden Frau.
    »Heute, bist du der stärkere«, flüsterte Hel und kam Odin so nah, dass er sehen konnte, dass auch sie nur ein sehendes Auge hatte, das andere war blind und tot.
    »Aber da du uns nicht töten kannst«, fuhr sie fort, »werden wir uns wiedersehen, und dann wird euch Göttern kein Zauber mehr helfen.«
    Wie zuvor Thor, begann nun Odin zu zittern.
    »Hel, ich verbanne dich in die Welt der Finsternis und der Nebel«, sprach er. »Gehe nach Niflheim, denn dort ist künftig das Reich der Toten. Dein Haus wird voller Schlangen sein und das Gift von den Wänden tropfen. Wer zu Hel geht, muss dunkle Täler durchwandern und einen Fluss durchwaten. Der Eingang in dein Land sei die Höhle Gnipahellir, wo der schreckliche Hund Garm Wache halten soll.«
    Kaum hatte Odin seinen Fluch ausgesprochen, wurde Hel fortgerissen und hinabgeschleudert nach Niflheim.
    Misstrauisch sahen die Götter sich um, die Alte, Angrboda selbst, konnten sie nirgends entdecken, sie sahen nur den Wolf. Wie ein gigantischer Schatten hoben sich seine Umrisse gegen das matte Grau der Bäume ab. Sein Fell glich Eisenwolle und seine gefletschten Zähne Dolchen. Der Wolf war ein Wolf und war doch keiner. Die Götter spürten den Dämon in ihm, die Klugheit und die Macht. Als Odin ihm in die Augen sah, glaubte er etwas Vertrautes darin zu entdecken und erschrak.
    Langsam schlich der Wolf heran, die Ohren angelegt, die Augen zu leuchtenden Schlitzen verengt. Und es war, als würde die Prophezeiung laut in die Nacht gesprochen. Die Prophezeiung vom Ende der Götter, die Prophezeiung von der Wolfszeit. Und doch konnten sie ihn nicht töten.
    »Du bist nun allein, Fenrir«, sagte Thor und ging vorsichtig auf den Wolf zu, »deine Geschwister Hel undJörmungand sind nicht mehr hier, um dir zu helfen. Wir aber sind zu dritt.«
    Der Wolf fletschte die Zähne, und das Fell in seinem Nacken sträubte sich: »Ich bin so stark wie mein Vater. Ich brauche keine Hilfe, um mit euch fertig zu werden. Das dunkle Blut ist stärker als das edle Blut der Götter.«
    Einen Moment war Thor wie betäubt, als er die heisere Stimme des Wolfs hörte, dann aber fasste er sich und sagte: »Wir nehmen dich mit nach Asgard.«
    »Ach ja?« Fast wirkte es, als würde der Wolf lachen. »Und was ist, wenn ich nicht möchte?«
    Thor sah sich nach seinem Vater um, aber Odin schien wie unter einem Bann. Unablässig sah er den Wolf an, und das Entsetzen lag auf seinen Zügen.
    Da stürzte Thor auf Fenrir zu und legte ihm Eisenringe um die Vorderpfoten. Doch kaum eine Sekunde später hatte der Dämon sie zerbrochen.
    »Willst du mich beleidigen, Gott? Ist das alles, was ihr mir entgegenzusetzen habt?« Wie ein Hund wedelte er mit dem Schwanz.
    Thor holte eine silberne Kette hervor, über die er einen Fluch sprach. Wie von selbst schlang sich die Kette um Fenrirs Körper und Beine.
    »Dass ihr immer so arrogant sein müsst. Denkst du wirklich, Gott, dass ich nicht auch des einen oder anderen Zaubers mächtig bin?«
    Fenrir schloss die Augen. Ein seltsames Geräusch, beinahe ein Singen, stieg aus seiner Kehle, und die schwere Fessel fiel zu Boden. Der Wolf stieß ein triumphierendes Geheul aus.
    Da erwachte Odin aus seiner Ohnmacht. Energisch gebot er Thor Einhalt und trat nun selbst auf den Dämon zu. Hass lag in Odins Augen, als er ein weiches dünnes Band hervorholte, das die Zwerge für ihn hergestellt und mit ihrem Zauber durchwirkt hatten. Langsam spannte es der Göttervater zwischen seinen Händen.
    Fenrir betrachtete das Band gelangweilt.
    »Willst du mich jetzt erdrosseln?«
    »Nein, ich werde dich damit fesseln.«
    Amüsiert kauerte sich der Wolf auf den Boden.
    »Du denkst, dass ich dumm bin, Odin? Das ist nicht nett von dir.
    Wer sagt mir, dass nicht ein Zauber auf diesem Band liegt, das so dünn und schwach aussieht. Ein Wolf bleibt ein Wolf, auch wenn er mit dem Schwanz wedelt wie ein Hund.«
    Aber Odin spürte, dass der Wolf vorsichtiger geworden war. Einen Augenblick lang glaubte er sogar, Fenrir hätte seine List durchschaut.

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