Die Nordischen Sagen
fragend zu seinem Herrn, aber als Thor ihm zunickte, griff Thjalfi entschlossen nach einer Axt und rannte in die Dunkelheit, dem Monster entgegen.
»Los, treib die Böcke an.« Loki war lautlos neben Thor getreten. »Es wird Zeit, dass die Riesen erkennen, was es heißt, den Donnergott herauszufordern.«
Thor stieß einen gellenden Kampfschrei aus und lenkte seine pferdegroßen Ziegenböcke hoch hinauf in die Luft, dass die Funken aus den Rädern schlugen. Es heißt, ein Großteil der Riesen, die Hrungnir in die Schlacht begleiteten, seien schon geflohen, als sie Thors Schrei hörten.
Thjalfi indessen hatte den Lehmriesen erreicht und schlich sich unbemerkt an ihm vorbei. Wenige Augenblicke später stand er vor Hrungnir selbst.
»Was gibst du mir, wenn ich dir verrate, von welcher Seite Thor dich angreifen wird?«
Der Riese blickte verwundert auf den jungen Mann herab, der sich ihm so frech in den Weg stellte.
»Ich lasse dich wählen, wie du sterben willst, Kleiner.«
Thjalfi aber fuhr ungerührt fort: »Ich bin Thors Knecht, ich weiß, wie er kämpft.«
Hrungnir bewegte langsam sein steinernes Haupt, hob den rechten Arm und wollte eben seinen gigantischen Wetzstein auf Thjalfi herabschleudern, als die Luft zu vibrieren begann. Himmel und Erde schienen zu schwanken, die Wolken wirbelten wie schwarze Gischt, und mitten aus dem Wolkenstrudel erschien ein glühender Feuerball am Himmel wie eine schlechte Sonne. Thor, der Donnergott, zog in die Schlacht. Die letzten Riesen, die noch bei Hrungnir geblieben waren, heulten entsetzt auf und flüchteten zurück in ihre Höhlen. Hrungnir selbst blickte wie gebannt an den Himmel, dann aber fasste er sich und brüllte Thjalfi an.
»Einen Sack Gold, wenn du es mir sagst.«
Thjalfi legte beide Hände an den Mund und schrie gegen den aufkommenden Sturm an: »Thor wird dich von da angreifen, wo du es am wenigsten erwartest. Du hältst den Schild vor der Brust, Thor aber wird dich von unten angreifen.«
Hrungnir dachte keine Sekunde über das nach, was Thjalfi gesagt hatte. Sofort änderte er seine Deckung und stellte sich nun auf den Schild. Als er sich jedoch nach Thjalfi umsah, um ihn doch noch zu töten, war Thors Knecht verschwunden.
Das Dröhnen in der Luft wurde immer lauter, und der Himmel glich einem Flammenmeer. Die Wolken, die Thors Wagen bei seinem Himmelsritt berührte, glühten auf wie Kohlen im Feuer und spien faustgroße Hagelkörner auf den Boden. Felswände stürzten ein, der Himmel verwandelte sich in einen brodelnden Hexenkessel, und der Sturm heulte. Hrungnir musste einen Arm überdie Augen legen, um nicht vom aufwirbelnden Sand geblendet zu werden. Aber auch sein Zorn wuchs.
»Dieses hochmütige Götterpack. Flammende Wolken und brennende Luft, nur um mich, Hrungnir, vorzuführen.«
Wieder spürte er die Kälte in sich aufsteigen. Diese böse, vernichtende Kälte, die alles Leben auslöscht und in Eis verwandelt. Vielleicht können nur Reifriesen so empfinden. Hrungnir jedenfalls spürte, wie sich alle Kräfte Niflheims in ihm sammelten. Und um ihn herum begann es zu schneien. Entschlossen umklammerte er seinen Wetzstein mit beiden Pranken und schleuderte ihn gegen den herannahenden Donnergott. Wie eine Keule aus Eis schoss der Wetzstein auf den rothaarigen Gott zu.
Im selben Augenblick aber holte auch Thor aus und ließ Mjöllnir, den Riesentöter, frei. Der Hammer flog durch die Luft und jagte sein Opfer wie ein Falke. Unabänderlich hielt er auf Hrungnirs Haupt zu und traf im Flug mit dem Wetzstein des Riesen zusammen. Es war, als würde etwas explodieren, als die beiden Waffen sich berührten. Der Kampf zwischen der oberen und der unteren Welt. Mjöllnir zertrümmerte den Wetzstein, setzte seinen Todesflug fort und spaltete schließlich den Kopf des Riesen in zwei Hälften. Midgard und Utgard erbebten, als Hrungnir fiel. Dann kehrte Mjöllnir triefend vom Blut des Riesen in die Hand seines Herrn zurück. Thor selbst aber war von Hrungnirs stürzendem Leib zu Boden gerissen und unter einem seiner mächtigen Füße begraben worden.Etwas entfernt vom eigentlichen Schlachtfeld kämpfte Thjalfi mit dem Lehmriesen. Zu Thjalfis Glück aber hatten die Riesen versäumt, dem Ungeheuer neben Mut auch Verstand zu schenken. Schutzlos fiel der Lehmriese auf jede Finte herein. Kein Hieb verfehlte sein Ziel, und bald war von Thjalfis gigantischem Gegner nicht mehr als ein Haufen Matsch zurückgeblieben.
Diesmal siegten die Götter. Die Riesen waren
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