Die Nordischen Sagen
mir, Thor, ich musste versprechen, dass du keine Waffen tragen wirst.«
»Was ist das für eine einfältige Idee«, sagte Thor einige Tage später, als Loki sich wieder etwas erholt hatte. »Auf so was kann wirklich nur ein Riese kommen. Ich bin niemals unbewaffnet, und es gibt keinen Grund, nach Jötunheim zu reisen.«
Traurig schlug Loki die Augen nieder. »Ich musste ihm mein Wort geben, dass du kommst. Sonst will er meine Frau Sigyn und meine Söhne töten.«
Thor umarmte seinen Freund schweigend, dann nahm er den Kraftgürtel ab, der seine ohnehin schon enormen Asenkräfte um ein Vielfaches verstärken konnte, legte Handschuhe und Donnerhammer auf den Tisch und ging hinaus, um seinen Knecht Thjalfi zu rufen.
Loki folgte Thor, und wie meistens lächelte er.Der Weg bis zu Geirröds Palast war weit, und da die Freunde und Thjalfi spät aufgebrochen waren, senkte sich die Nacht schon über Midgard, als die drei noch nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten. »Lass uns irgendwo übernachten«, sagte Thor und gähnte, »ich glaube, die Riesin Grid wohnt hier ganz in der Nähe. Sie ist uns Göttern wohlgesonnen.«
»Wäre es nicht besser, Geirröd in der Nacht zu überraschen? Vielleicht können wir ihn sogar im Schlaf überwältigen.«
»Nein, Loki. Ich kämpfe lieber Mann gegen Mann.«
Den Rest des Weges bis zu Grids Höhle gingen die Freunde schweigend, jeder in seine Gedanken versunken.
Grid nahm die Männer freundlich auf und bereitete ihnen ein Nachtlager. Als sie aber von Thors Vorhaben erfuhr, schlug sie entsetzt die Hände vor die Brust.
»Ohne Waffen. Das ist dein Tod, Thor. Geirröd wird niemals aufrecht kämpfen. Sein Vater war ein Troll, er ist hinterhältig und böse.«
Damit reichte sie Thor ihren eigenen Kraftgürtel, eiserne Handschuhe und einen Zauberstab.
»Aber ich habe Geirröd mein Wort gegeben«, sagte Loki und ging unruhig auf und ab.
Grid betrachtete Loki mit hochgezogenen Augenbrauen und wandte sich dann wieder an Thor: »Sei unbesorgt, er wird auch nicht ehrlich kämpfen.«
Am nächsten Tag setzten sie ihre Reise fort durch finstere Wälder, an tiefen Schluchten vorbei und über reißende Flüsse. Und erst als es Abend wurde, erreichten sie eine Lichtung, auf der die gewaltige Burg des Riesenstand. Sie sah aus wie ein kleines Gebirge und bestand ganz und gar aus rohem Fels. Als sie näher kamen, öffnete sich ein eisernes Tor wie von Geisterhand. Kaum waren die Gefährten in den Innenhof getreten, fiel es hinter ihnen schwer ins Schloss. Ein mürrischer Knecht wies ihnen den Weg zu ihrer Unterkunft, und Thor konnte seinen Zorn kaum zurückhalten.
»Ein Ziegenstall! Ich, Thor, der Donnergott, der Riesentöter, der Zermalmer, der Krieger, ich soll in einem Ziegenstall hausen? Ist es das, was Riesen unter Gastfreundschaft verstehen? Ich bin aus freien Stücken hier.« Vorwurfsvoll blickte er Loki an. »Bei Odins Bart, das ist eine Falle. Vermutlich werden sie uns heute Nacht noch angreifen. Wir müssen also abwechselnd wachen.«
Wütend ließ Thor sich auf einen einfachen Stuhl fallen. Kaum aber hatte er die Sitzfläche berührt, flog er mitsamt dem Stuhl der Decke entgegen. Immer näher kam das schwere Dachgebälk, schon musste der Donnergott den Kopf einziehen, aber der Stuhl schwebte unaufhaltsam nach oben. Im letzten Moment stemmte er Grids Zauberstab gegen die Balken über ihm und zwang den Stuhl so wieder zu Boden. Zwei grässliche Schreie ertönten, ein Krachen, als ob etwas zerbräche, dann wurde es still. Neben dem Stuhl wurden zwei Leichen sichtbar. Geirröds Töchter, Gjalp und Greip, hatten verborgen unter einem Tarnmantel versucht, Thor zu zerquetschen. Seine Gegenwehr aber hatte ihnen das Rückgrat gebrochen.
Die Nacht verging ohne weitere Zwischenfälle, am Morgen wurden Thor und Loki in die Thronhalle desRiesen gerufen, Thjalfi aber blieb im Stall zurück, um ihnen den Rückweg freizuhalten. Misstrauisch zog Thor Grids Eisenhandschuhe an und verbarg seine Hände hinter dem Rücken, als er eintrat.
»Der mächtige Thor in meiner Halle«, sagte Geirröd und fletschte seine gelben Zähne. »Hätte nicht gedacht, dass du wirklich kommst, auch wenn es der da behauptet hat.« Er nickte zu Loki hinüber, der sich hinter einer Säule versteckte. »Ich werde dich töten, als Rache für meine Töchter und für meinen Freund Hrungnir.«
Geirröd sprang ungelenk zu einer der vielen offenen Feuerstellen im Raum und griff einen langen Eisenspeer mit weiß
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