Die Nordischen Sagen
geschlagen worden. Langsam senkte sich der Staub auf das Schlachtfeld, und Thjalfi suchte nach seinem Herrn.
Als er beinahe schon glaubte, Thor wäre längst wieder nach Hause gefahren, da fand er ihn begraben und wehrlos unter dem Riesenfuß. Weder er noch Loki und auch keiner der herbeigerufenen Asengötter konnten Hrungnirs schweres Bein von Thors Hals heben.
»Ich bin kein richtiger Gott, und viele von euch sehen in mir immer noch den Riesen und dulden mich nur ungern in ihrer Mitte, aber Freunde, lasst mich einen Vorschlag machen.«
Unter den Göttern war es still geworden, als Loki zu sprechen begonnen hatte. Alle blickten nun auf den anmutigen jungen Mann mit den blitzenden Augen und der sanften Stimme.
»Warum rufen wir nicht Magni, Thors Sohn, zu Hilfe?«
»Thors Sohn?«, antwortete der schöne Balder, »wir wussten nicht, dass Thor einen Sohn hat.«
»Ich selbst habe es eben erst erfahren«, entgegnete Loki dem Lichtgott lächelnd, »die Riesin Jarnsaxa hat Thor vor drei Tagen einen Sohn geboren, und wie es sichfür euer edles Geschlecht gehört, ist er schon jetzt so stark wie tausend Männer.«
»Davon müsste ich wissen«, mischte sich nun Heimdall ein, der Wächter Asgards, »ich höre das Gras wachsen und sehe bei Tag wie bei Nacht hundert Meilen weit. Nichts entgeht mir.«
»Nichts für ungut, Heimdall.« Lokis Stimme war wie warmes Öl. »Aber Jarnsaxa wohnt einhundert und eine Meile weit von hier entfernt am Rande des Riesenreiches. Wenn ihr gestattet, hole ich den kleinen Magni.«
Da keiner der Götter eine bessere Idee hatte, verschwand Loki und kehrte nur einen Herzschlag später zurück, mit dem Kind in den Armen. Kaum setzte Loki den Jungen auf den Boden, eilte Magni zu seinem Vater und hob das schwere Riesenbein von seiner Brust, als wäre es eine Feder. Dann half er Thor auf und sagte lachend: »Wie ärgerlich, Vater, dass ich so spät kam. Ich hätte Hrungnir mit bloßer Faust ins Totenreich gehauen.«
Thor klopfte sich den Staub von den Kleidern, legte die Waffen ab und ging zu Magni.
»Du bist ein echter Göttersohn, und du wirst mir einst ein würdiger Erbe sein. Als Belohnung für deine Tat bekommst du heute Gullfaxi, das Pferd des Riesen. Achte gut auf Goldmähne, denn er ist ein Wunderpferd.«
Als Odin das hörte, geriet er in Wut »Warum bekommt der Sohn einer Riesin Gullfaxi und nicht ich?«, brüllte er Thor an. »Alle Zauberdinge und Zauberwesen stehen mir zu.«
»Erstens hast du mir nicht geholfen, sondern meinFreund Loki«, antwortete Thor, »und was die Riesen betrifft, so hast du selbst Riesenblut in dir.«
Hrungnir war tot, der Aufstand der Riesen niedergeschlagen, und doch wusste Odin, dass dies nur das erste Aufflackern eines Feuers war, das bald ganz Asgard oder sogar alle Welten in Brand stecken konnte. Odin saß auf seinem Thron in Walhall und beobachtete, wie seine Totenkrieger sich im Kampf übten.
»Hatte der Riese nicht die Weltenfeinde erwähnt? War es vielleicht sogar schon längst zu der gefürchteten Allianz gekommen? Gut, der Wolf Fenrir stand unter seiner Aufsicht, aber was geschah in Niflheim, was tat die Schlange, was tat Hel?«
Schließlich schickte er nach Loki.
»Steige hinab nach Niflheim«, rief Odin, als er sah, wie sich der Feuergott zwischen den kämpfenden Kriegern hindurchwand und auf ihn zukam. »Ich muss wissen, was Hel da unten treibt. Wie du das anstellst, ist mir egal. Ich will es auch gar nicht wissen.«
Loki legte den Kopf etwas schief, lächelte amüsiert und legte die rechte Hand auf sein Herz. »Wie du es wünschst, Gebieter.« Und im nächsten Augenblick war Loki verschwunden.
Odin aber rief Tyr zu sich, und als der Kriegsgott erhitzt vom Kampf und schweißbedeckt vor ihm stand, sagte der Göttervater nur ein einziges Wort: »Fenrir.«
Loki kehrte viele Wochen lang nicht zurück, und Thor begann sich Sorgen zu machen. Gerade als er beschlossenhatte, Odin um die Hilfe seiner beiden Raben zu bitten, taumelte Loki in Thors Burg.
Er war mager und zerlumpt, und sein Körper war übersäht mit Kratzern und kleinen Wunden.
»Der Riese Geirröd will mit dir kämpfen«, keuchte Loki und taumelte, »er hat mich abgefangen auf dem Weg nach Niflheim und mich mehrere Wochen lang gefoltert, bis ich ihm geschworen habe, dass du kommst.«
Nach diesen Worten brach Loki kraftlos zusammen. Thor war sofort an seiner Seite. Er richtete seinen Freund auf, ließ Speisen und Getränke herbeischaffen und versorgte seine Wunden.
»Vergib
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