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Die Nordischen Sagen

Die Nordischen Sagen

Titel: Die Nordischen Sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Neuschaefer
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Geschirr wie Spielzeug in seinen Händen aussahen, füllte Odin Thors Trinkschale, die so groß war wie ein kleines Boot, und reichte sie dem Riesen. Einmal leerte er das Gefäß, zweimal, fünfmal, neunmal, und langsam wurde er betrunken.
    »Ich sauf euch alles weg, was ihr habt ... alle seid ihr ... ihr ... Ihr haltet euch für was Besseres.«
    Der Riese wischte sich mit seiner gewaltigen Hand über den Mund.
    »Schenk ihm nach«, flüsterte Odin einer jungen Göttinzu und wandte sich dann wieder an seinen grölenden Gast: »Auf dein Wohl, Hrungnir. Du bist unter Freunden. Und Freunde sagen sich die Wahrheit, nicht wahr?«
    Der Riese gaffte Odin aus blutunterlaufenen, leeren Augen an, benebelt und schwankend.
    »Also, mein Freund«, fuhr Odin fort, »was ist los bei euch in Riesenheim? Wieso achtet ihr die Grenzen nicht mehr?«
    »Ihr seid alles Betrüger«, antwortete Hrungnir, »Eidbrecher und Mörder. Ich sauf euch alles weg! ... Wir werden euch zer ... zer ...«
    Er stutzte einen Moment, als müsse er überlegen, dann stand er unsicher auf und ging auf Odin zu.
    »Wir werden euch alle wegmachen, zusammen mit den Weltenfeinden. Und ich fang jetzt schon mal an.«
    Als Hrungnir direkt vor Odins Thronsessel angekommen war und sich langsam zu ihm hinunterbeugte, griff Odin rasch nach seinem Zauberspeer. Aber der Riese entwand ihm die Waffe, als wäre es ein Zahnstocher.
    »Wir sind nicht weniger ... wert als ihr ...«, sagte er. »Ihr preist euch als vollkommen und herrscht über uns Riesen. Aber jetzt ist ... Schluss.«
    Langsam richtete sich Hrungnir wieder auf und begann, Tische, Bänke und Stühle in Odins Thronsaal zu zertrümmern.
    Einige Götter flohen vor dem tobenden Riesen, andere stellten sich zum Kampf, doch Hrungnir war so betrunken, dass er sie gar nicht wahrnahm.
    »Halt ein oder du wirst dein Leben lassen«, schrie Odin dem Riesen zu.
    »Hahahaha ... Leben lassen ...« Hrungnir legte den Kopf in den Nacken.
    Odin schloss sein Auge und überlegte, doch er wurde von Lokis weicher, leiser Stimme aus seinen Gedanken gerissen: »Wenn du gestattest, Göttervater, werde ich Thor holen, um das hier zu erledigen.«
    In der Mitte des Saals fiel eine weitere Steinsäule um, und weil Odin keine bessere Idee hatte, nickte er müde und ließ Loki gewähren. Der Halbgott aber verließ so schnell und leichtfüßig den Saal, dass es aussah, als würde er fliegen.
    Hrungnir blickte Loki nach, richtete sich dann zu voller Größe auf und brüllte, dass alles in der Götterburg vibrierte: »Ich könnte ganz Walhall ausheben und nach Jötunheim schleppen. Wir könnten alle Götter erschlagen, wie ihr einst unseren Baumeister. Aber atmet auf, Himmlische, heute nehme ich nur zwei Göttinnen. Die da, Freyja, nehme ich mit und ... diese schöne Asin hier, mit den langen goldenen Haaren.«
    Hrungnir trat nun ausgerechnet auf Sif zu, Thors Gemahlin, und wollte eben nach ihr greifen, da war es, als würde das Haupttor aus den Angeln gesprengt. Umschienen vom Licht der untergehenden Sonne trat Thor in den Saal. Sein rotes Haar loderte wie Flammen. In der rechten Hand schwang er Mjöllnir, an dem noch das Blut erschlagener Trolle klebte. Der Riese erstarrte bei seinem Anblick und ließ von den beiden Frauen ab.
    »Was führst du solche Reden in der Halle der Götter, Riese.« Thors Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, und doch erreichte sie jeden Winkel des Raumes.
    »Ich bin Gast und ohne Waffen«, knurrte Hrungnir und trat dem Donnergott entgegen.
    Aber gerade als Thor den Hammer sinken lassen wollte, um mit dem Riesen zu sprechen, war Odin neben ihm und sagte: »Tu mit Hrungnir, was du willst. Ich bin mit ihm fertig.«
    Thor blickte den Riesen an, seine massige Gestalt, seine hässlichen Augen, die steinharten Klauen. Langsam steckte er Mjöllnir zurück in seinen Gürtel und zog die Eisenhandschuhe aus.
    »Du bist unbewaffnet, Hrungnir, und du bist in Odins Haus. Nenn mir einen Ort, an dem wir das hier zu Ende bringen können.«
    Der Riese antwortete nicht sogleich, er bewegte sich auch nicht, er überlegte. Schließlich sagte er: »Dort wo Midgard an die Wildnis Utgard stößt, dort ... wollen wir uns treffen. Bevor die Sonne aufgeht, bei den Felsenhöfen.«
    Hrungnir schwang sich auf seinen Hengst Gullfaxi und ritt davon, und irgendwo in den Weiten Asgards heulten die Wölfe.

    In den unterirdischen Sälen herrschte Dämmerlicht. Nur einige Pechfackeln erleuchteten den groben Fels und die Tropfsteine, die von der Decke

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