Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nordischen Sagen

Die Nordischen Sagen

Titel: Die Nordischen Sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Neuschaefer
Vom Netzwerk:
herabhingen. Schatten krochen über Boden und Wände. Schatten ohne Körper. Schatten, die hierhergekommen waren, ins Reich der Göttin Hel. Ihre Körper hatten sie zurückgelassen, oben in der Welt der Menschen. Nur als Seele waren sie den Helweg hinabgegangen bis zum schwarzen Fluss. Einreißender Fluss, aus dessen schäumenden Wellen ekelerregender Gestank aufstieg. Der Fluss Gjöll, den die Toten überqueren müssen, um in Hels Reich zu gelangen, aus dem keiner zurückkehrt. Langsam haben sie sich hinübergetastet, die Schatten. Sind einen Schritt nach dem anderen gegangen über die goldene Brücke, die den Fluss überspannt. Halb zog es sie noch immer in die obere Welt, halb wurden sie hinabgesaugt, denn hier gehörten sie her. All die Verbrecher und Mörder, all jene, die im Schlaf oder an einer Krankheit gestorben waren. Hier unten, in der dunklen Welt, auf dem Grunde Niflheims, waren sie gefangen und wurden zu einem Teil der Finsternis. Ihr ganzes Selbst gehörte nun Hel. Alles, was herabsank, gehörte Hel, nicht nur die Toten. Alle schweren Gedanken, alle Schmerzen, alle Verzweiflung, die Angst und das Leid. Davon nährte sie sich, darauf baute sie ihr Land.Aber es gab auch Kreaturen, die sich zu ihr hingezogen fühlten. Diejenigen nämlich, deren Herz und Seele ebenso schwarz waren wie die Schatten Niflheims. Und es waren viele, die kamen. So stellte Hel ein Heer zusammen, größer und schrecklicher, als die Götter es sich vorstellen konnten. Kein Kundschafter gelangte je durch die Pforte in Hels Reich. Denn hier hielt Garm Wache. Der schrecklichste aller Hunde, in seiner Höhle Gnipahellir.
    Lange bevor die Sonne aufging, trafen Thor und sein Knecht Thjalfi bei den Felsenhöfen ein. Die Dunkelheit lag noch über den Bergen. Unsicher sah Thjalfi sich um.
    »Was ist das dort hinten, am Rand des Gebirges? Etwas Großes, nein, etwas Riesiges.«
    »Los, Thjalfi«, rief Thor«, du bist ein schneller Läufer. Geh und sieh nach, was es damit auf sich hat.«
    Im Schutz der Dunkelheit rannte Thjalfi auf die riesige schwarze Masse zu, die sich wie ein finsterer Turm vor dem heller werdenden Himmel abzeichnete. Die Masse bewegte sich langsam und ungeschickt, aber unaufhaltsam. Wie eine Lawine aus Stein schob sie sich auf den Kampfplatz bei den Felsenhöfen zu. Erst als Thjalfi so nah herangekommen war, dass er den keuchenden Atem des Geschöpfes hören konnte, erkannte er, was die Riesen gegen den Donnergott in den Kampf schicken würden.
    Es war eine Gestalt aus Lehm, wie von Kinderhand geformt, grob und ungelenk. Das Wesen hatte unterschiedlich große Augen, die schief in seinem Lehmkopf saßen. Der Mund glich einer frischen Narbe, und lediglich zwei Schlitze waren seine Nasenlöcher. Der Lehmmann richteteden Kopf nach dem Wind und witterte, dann stapfte er weiter. Ein Schritt nach dem anderen. Immer weiter zu den Felsenhöfen.
    Thjalfi rannte so schnell zu Thor zurück, dass seine Lungen schmerzten. »Ein Monster, Herr. Sie schicken ein Ungeheuer.«
    Thor kniff die Augen zusammen und blickte zum Horizont, vor dem das Lehmgeschöpf immer größer wurde.
    Langsam streifte er die Eisenhandschuhe über seine Hände, legte sich den Kraftgürtel um und nahm Mjöllnir in die rechte Hand. Dann bestieg der Donnergott seinen Kampfwagen und wollte eben die beiden Böcke antreiben, da landete ein großer Adler direkt neben ihm auf dem Boden.
    »Soll ein Gott wirklich gegen einen Lehmmann kämpfen?«, sagte der Adler und verwandelte sich im nächsten Moment in Loki, »lass das deinen Knecht erledigen, Thor. Und wenn ich dir noch einen Rat geben darf, ich würde Hrungnir ein bisschen durcheinanderbringen.«
    Thor blickte Loki überrascht an.
    »Loki? Du bist ein Gestaltwandler? Das hast du mir nie erzählt, in all den Jahren. Ich dachte, nur Odin und Heimdall können das. Und diese ... diese Vanin. Kannst du dich in alles verwandeln?«
    Eine Sekunde lang verengten sich Lokis Augen zu Schlitzen, dann entspannte sich sein Gesicht wieder.
    »Sagen wir, in fast alles. Aber behalt’s für dich. Außerdem bin ich nicht hier, um über meine Talente zu sprechen, sondern um dir zu helfen.«

    »Danke, aber ich brauche keine Hilfe, Loki.«
    »Dann lass mich wenigstens mitmachen.«
    »Also bitte, was schlägst du vor?«
    »Wie gesagt: Ich würde den Matschhaufen Thjalfi überlassen, und dann würde ich Hrungnirs Deckung schwächen.«
    Elegant wie ein Tänzer wandte Loki sich an Thjalfi und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der blickte

Weitere Kostenlose Bücher