Die Normannen
Sohn Richard die Normandie, behielt den Knaben allerdings unter seiner Kontrolle am Königshof. Als neu eingetroffene Skandinavier die Christianisierung der Region in Frage stellten, indem sie die alten heidnischen Kulte wiederbelebten, griff der König ein; er besiegte sie 943 in einer Schlacht, in der ihre Anführer den Tod fanden. Ludwigs Versuch, die Normandie von Rouen aus direkt zu regieren, stieß jedoch auf zunehmenden Widerstand der Normannen. Diese nahmen den König schließlich gefangen und lieferten ihn 945 an seinen Gegenspieler Hugo den Großen, Herzog von
Francia
, aus.
Die Selbständigkeit der Normandie war wiederhergestellt, während das ohnehin schwache westfränkische Königtum infolgedes unerwarteten Todes Ludwigs IV. 954 im Alter von nur 33 Jahren eine schwere Krise durchmachte. Als zwei Jahre später auch der mächtige Hugo der Große starb, festigte der inzwischen erwachsene Richard I., der Enkel Rollos, seine Herrschaft. Ihm gelang es, die in den vergangenen Jahrzehnten in mehreren Wellen in die Normandie eingewanderten Skandinavier zum Übertritt zum Christentum und so zur Integration zu bewegen.
2. Das Herzogtum Normandie
Richard I. wurde, ebenso wie sein Vater, von dem bereits erwähnten Chronisten Flodoard von Reims als «Fürst der Normannen» bezeichnet, scheint sich aber in Wirklichkeit zunächst mit dem Grafen- oder Markgrafentitel begnügt zu haben. Er legte sich den höheren Titel eines Herzogs erst zu, als die westfränkische Krone im Jahre 987 endgültig von der Karolingerdynastie auf die Robertiner (so genannt nach dem erwähnten Robert, dem Markgrafen von Neustrien und Taufpaten Rollos) überging, die künftig nach Hugo Capet (987–996) Kapetinger genannt wurden und bis 1848 die französischen Könige stellten. Wann dies genau geschah, wissen wir nicht; die ältesten Dokumente, in denen Richard I. Herzog genannt wird, sind spätere Fälschungen. Die erste erhaltene echte Urkunde, in der ein «Herzog der Normandie» bezeugt ist, stammt aus dem Jahr 1006, als sein Sohn Richard II. (996–1026) bereits die Nachfolge angetreten hatte. Es gab allerdings damals noch keine genaue Abgrenzung der Titel Graf, Markgraf, Fürst und Herzog. Man geht in der Forschung davon aus, dass wahrscheinlich auch Richard I. bereits gegen Ende des 10. Jahrhunderts gelegentlich den Herzogstitel führte.
Religiöse Legitimation und erfolgreiche Integration Um das Jahr 1000 war das Herzogtum Normandie eine Realität. Eine neue Region und ein neues Volk waren entstanden. Bei der Transformation der Wikinger zu Normannen spielte die römisch-lateinische Kirche, die einen Großteil der antiken Kulturin das Mittelalter rettete, eine wichtige Rolle. Der erste Geschichtsschreiber und sozusagen ideologische Geburtshelfer der Normandie war bezeichnenderweise ein Geistlicher: der bereits erwähnte Dudo von Saint-Quentin.
Nicht alle Kirchenmänner waren sogleich bereit, den Wikingersprösslingen bei ihrer Integration behilflich zu sein. Als Richard I. den Abt von Cluny bat, ihm Mönche zur Verfügung zu stellen, die das religiöse und kulturelle Niveau der Klöster in der Normandie verbessern sollten, soll er barsch abgewiesen worden sein: Mit einem «Piratenhäuptling» (
dux piratarum
) wolle man nichts zu tun haben! Doch langsam sprach sich herum, dass aus den skandinavischen Piraten inzwischen gute Christen geworden waren, die Kirchen und Klöster großzügig unterstützten. Richard I. gelang es zwar nicht, Mönche aus Cluny anzusiedeln, aber immerhin solche aus der Abtei Saint-Cyprien in Poitiers, die in das frisch restaurierte Kloster Jumièges einzogen. Bereits 940 hatte sein Vater Wilhelm Langschwert den Abt von Saint-Cyprien gebeten, Jumièges im Sinne der cluniazensischen Reform zu erneuern, doch sein früher Tod hatte die Realisierung dieses Wunsches verhindert.
Eine umfassende Erneuerung des kirchlichen und kulturellen Lebens in der Normandie begann erst, als der aus Norditalien gebürtige Wilhelm von Volpiano (gest. 1031) hier eintraf. Er hatte die blühende monastische Kultur Clunys, wo er zum Priester geweiht worden war, kennengelernt und verschiedene Klöster in Frankreich und Norditalien reformiert. Seit 990 Abt von Saint-Benigne in Dijon, folgte Wilhelm im Jahre 1001 dem Ruf Herzog Richards II., mit einigen seiner Mönche in die Normandie zu kommen. Seine erste Aufgabe war die Umwandlung des von Richard I. als Grablege der Herzogsfamilie gegründeten Chorherrenstifts Sainte-Trinité
Weitere Kostenlose Bücher