Die Normannen
Mangel an Soldaten litt, militärische Hilfe benötigte, schickte Vladimir 6000 Krieger. Entscheidend für die Zukunft war die Konversion des noch keiner monotheistischen Religion angehörenden Rurikiden zum Christentum und Vladimirs Heirat mit einer byzantinischen Prinzessin. Dadurch wurde der griechisch-byzantinischen Kultur und Religion das Tor in das spätere Russland geöffnet. So wie die Wikinger sich in der Normandie romanisierten und zu Normannen wurden, slavisierten sich die skandinavischen
Rus’
. Vladimirs Entscheidung für das griechisch-orthodoxe Christentum – er soll zunächst auch eine Konversion zum Islam nicht ausgeschlossen haben – war von weltgeschichtlicher Bedeutung. Fantasievolle moderne Historiker haben sich vorgestellt, was hätte geschehen können, wenn die
Rus’
den Islam angenommen hätten: eine islamische Umkreisung des christlichen Mitteleuropa von Süden, Osten und sogar von Norden,wenn die Lehre des Propheten Mohammed sich dort ausgebreitet hätte …
Ein schwieriger Anfang Doch zurück zur Normandie: Unter Rollo (gest. ca. 927/30) und seinem Sohn und Nachfolger Wilhelm Langschwert (gest. 942) dehnten die allmählich zu Normannen werdenden Skandinavier ihren Herrschaftsbereich auf das gesamte Gebiet aus, das von ihnen den Namen Normandie erhielt. Im Westen reichte es bis zum Fluss Couesnon, der die Grenze zur Bretagne bildete. Der aus Angst vor den heidnischen Wikingern geflohene Bischof und sein Klerus kehrten nach Rollos Taufe nach Rouen zurück, das seine auf die Römerzeit zurückgehende Rolle als politisches und kirchliches Zentrum der Region behauptete. Die in der Merowinger- und Karolingerzeit gegründeten Klöster, die ein beliebtes Ziel der skandinavischen Plünderer gewesen waren, wurden wiederhergestellt. Die Geistlichen halfen den neuen Herren, sich zu etablieren.
Die Anpassung an ihre christlich-fränkische Umgebung spiegelt sich in den Namen der ersten Normannenführer wider: Rollo nannte sich nach seiner Konversion Robert – nach seinem Taufpaten Markgraf Robert von Neustrien; sein Sohn Wilhelm Langschwert nahm den Namen seines Paten Herzog Wilhelm I. von Aquitanien, des Gründers der berühmten burgundischen Benediktinerabtei Cluny, an, und Rollos Enkel Richard I. den des gleichnamigen Herzogs von Burgund, der sein Pate war. Die Integrationspolitik der normannischen Grafen- bzw. Herzogsfamilie, zu der auch Wilhelm Langschwerts Heirat mit Lietgart, der Tochter des Grafen Herbert II. von Vermandois, und die seiner Schwester Adele mit Herzog Wilhelm III. von Aquitanien beitrugen, wurde jedoch von vielen der immer noch zahlreichen skandinavischen Neueinwanderer abgelehnt. So kam es 933/34 zu einem Aufstand gegen Wilhelm Langschwert, den dieser aber niederschlagen konnte.
Wie schwer Wilhelm es hatte, sich einen Platz in der guten Gesellschaft der fränkischen Fürsten zu sichern, die von dem nordischen Parvenü nicht gerade begeistert waren, zeigt eine Geschichte, die Richer, ein Mönch aus dem Kloster von Saint-Remibei Reims (gest. 995), in seinen
Historiae
erzählte. Obwohl Wilhelm in den Annalen Flodoards von Reims (gest. 966), die Richer als Grundlage für seine Erzählungen benutzte, «Fürst der Normannen» (
princeps Nordmannorum
) genannt wird, bezeichnet Richer ihn abschätzig als «Anführer/Herzog der Piraten» (
dux piratarum
). Um das Jahr 940 sollen sich der westfränkische König Ludwig IV. und sein ostfränkischer Kollege Otto I. getroffen haben; unter den eingeladenen Fürsten sei auch der «Piratenherzog» gewesen. Dieser, so die Erzählung Richers, sei allerdings ausgeschlossen worden, als man sich zu wichtigen Beratungen zurückzog. Wutentbrannt habe der Normanne daraufhin die Tür des Sitzungssaals aufgebrochen und sich mit Gewalt Einlass verschafft. Notgedrungen hätten die hohen Herren gute Miene zum bösen Spiel gemacht, sich später jedoch blutig gerächt.
Ob sich die von Richer erzählte Episode wirklich so zugetragen hat, ist höchst zweifelhaft. Sie veranschaulicht aber die Schwierigkeiten des Normannenführers, in die Gemeinschaft der fränkischen Fürsten aufgenommen zu werden. Tatsache ist, dass wenig später (942) Männer des Grafen Arnulf I. von Flandern, der an der erwähnten Versammlung teilgenommen hatte, Wilhelm ermordeten. Für den westfränkischen König Ludwig IV. war dies eine gute Gelegenheit, seine Macht zur Geltung zu bringen. Er zog nach Rouen und verlieh Wilhelms erst zehnjährigem, also noch unmündigem
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