Die Novizin
Raymond ihn absichtlich die vielen steilen Stufen zu unserem Gemach hatte hochsteigen lassen.
Vater Subillais war gekommen, um uns darüber in Kenntnis zu setzen, dass er seine Inquisition im Prinzip abgeschlossen hatte. Er gab sich höflich und untertänig und sprach dennoch unter dem Deckmantel von Frömmigkeit und Eifer Drohungen aus. Subillais konnte offenbar nicht ruhig schlafen, so lange noch ein Mensch am Leben war, der über seine Religion nicht genauso dachte wie er selbst.
»Wir reisen ab, sobald das Wetter es gestattet«, verkündete er.
»Ich hoffe, dass Ihr dem Bischof in Toulouse einen wohl wollenden Bericht über uns vorlegen werdet«, sagte Raymond.
»Ich werde ihm alles berichten, was ich gesehen und gehört habe«, entgegnete Vater Subillais mit einem falschen Lächeln.
»Was ist mit dem Mädchen?«, erkundigte ich mich.
»Die Tochter des Steinmetzes? Zu unserem äußersten Verdruss hat sie ihr Geständnis widerrufen. Wir werden morgen früh noch einmal mit der Befragung fortfahren.«
»Ihr müsst mit Eurer Arbeit hier sehr zufrieden sein«, bemerkte ich.
»Wir haben viele Seelen für Gott gerettet.«
»Einschließlich der von Aimery Maurand«, warf ich ein. Ich konnte nicht anders. Die einzige Möglichkeit, mich am Reden zu hindern, hätte darin bestanden, mir die Lippen zuzunähen.
Subillais wirkte beunruhigt und verwirrt zugleich. »Aimery Maurand?«
»Der arme Maurand! Ich habe übrigens gehört, dass sich sein Vater damals in Carcassonne viele Feinde gemacht. Angeblich hat er einen seiner Mitbürger zugrunde gerichtet, indem er ihn als Häretiker denunzieren ließ. Der gesamte Besitz jenes Mannes wurde konfisziert, und seine Söhne blieben mittellos zurück. Einer von ihnen soll gezwungen gewesen sein, einem Orden beizutreten.«
Falls Ihr jemals einen Mann an einer Fischgräte habt ersticken sehen, dann wisst Ihr, dass erst sein Gesicht rot anläuft und er dann ein leises Keuchen von sich gibt. Danach wird er stumm und starrt Euch aus kugelrunden Augen an.
Ich hatte den Eindruck, als würde unser guter Vater Subillais gerade an einer Gräte ersticken.
»Ihr scheint viel über ihn zu wissen«, stieß er schließlich hervor und flüchtete dann humpelnd aus unserem Gemach.
Raymond erhob sich. Das Wasser im Zuber war ihm zu kalt geworden. Ich reichte ihm ein Tuch, und er begann sich abzutrocknen. »Was hatte das gerade zu bedeuten?«
»Offenbar glaubt unser guter Vater Subillais, der Einzige zu sein, der hier von Geheimnissen weiß.«
»Wer war dieser Bürger, den Maurands Vater angeblich ruiniert hat?«
»Sein Name war Pierre Subillais.«
Daraufhin sagte Raymond für eine ganze Weile gar nichts. Schließlich bemerkte er nachdenklich: »Wenn das bekannt würde …«
»Der Beweis befindet sich in einem Register, das schon vor langer Zeit auf rätselhafte Weise verschwand. Möchtet Ihr eine solche Infamie verbreiten, ohne Beweise vorlegen zu können?«
»Woher wisst Ihr all dies?«, fragte er, gab sich jedoch im nächsten Moment selbst die Antwort. »Von Eurem Bruder.«
Ich nickte.
»Haben die Templer sogar im Château Narbonnais ihre Spitzel?«
»Sie haben überall Spitzel.«
Mein Gemahl schien ebenso bestürzt zu sein wie ich – nicht darüber, dass ein Geistlicher seine Macht für eigene Zwecke missbrauchte, sondern dass gerade Christian dies tat. Ich hatte ihn stets für einen Mann gehalten, der allein von seinem Glauben angetrieben wurde. Nun hatte sich herausgestellt, dass er doch nur ein Mensch war. Es irritierte mich, dass ich ihn dermaßen falsch eingeschätzt hatte.
»Seid Ihr der Meinung, dass es klug war, Subillais derart herauszufordern?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Wie denkt Ihr darüber?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich denke, dass es wahrscheinlich gleichgültig ist. Vater Subillais hat ohnehin die Absicht, uns zugrunde zu richten.«
Ich fragte mich, was besser war – von der Willkür eines religiösen Eiferers abzuhängen oder sich in der Gewalt eines Mannes zu befinden, der von Hassgefühlen zerfressen wurde. Wenn man einem durchgegangenen Pferd im Weg steht – ist es dann noch von Bedeutung, ob das Pferd verrückt ist oder blind?
*
Ich ließ den Eindringling in die Wachstube über dem Nordtor bringen. Sie wurde selten benutzt, so dass wir die Angelegenheit dort ungestört erledigen konnten.
Die beiden Wachposten, die er bestochen hatte, führten ihn selbst herein.
Ich begriff nicht, wie ein Mann dermaßen töricht sein
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