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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Falconer
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Auseinandersetzung.
    Ich erkannte nun, dass er ein Buch in der Hand hielt. Kurz darauf warf er es ins Feuer und sah zu, wie die Flammen es verzehrten. Dann stolzierte er davon.
    Wie gern hätte ich diesen Schatz aus dem Scheiterhaufen geklaubt! Ich fragte mich, was für ein Buch es sein konnte, das einem Tempelritter dermaßen missfiel. Gerüchten zufolge enthielten die Bibliotheken der Templer Bücher von Juden, Mauren und Alchemisten, große Sammlungen der Werke von Claudius Galen und Hippokrates, Bücher über Astronomie und Mathematik, geheimnisvolle und womöglich sogar häretische Bücher, die überall sonst im christlichen Abendland verboten waren. Mir als Gelehrtem tat es Leid, wenn ein Buch vernichtet wurde, mochte es möglicherweise auch gefährlich sein. Was das betraf, siegte der Archivar in mir stets über den Geistlichen.
    Doch nun konnte ich lediglich danebenstehen und beobachten, wie die Flammen sich durch jenes rätselhafte Buch fraßen, wie das Pergament schwarz wurde und sich schnell in Asche verwandelte.
    Ich wagte es nicht, meinen Blick zu heben und das grausige Werk zu betrachten, das die Flammen bei Agnes vollbrachten. Ihr ahnt nicht, wie es ist, einen Menschen verbrennen zu sehen. Ihr habt noch nie versengtes Fleisch gerochen. Ich empfand keinerlei Genugtuung angesichts dieser Hinrichtung. Sie war eine traurige Pflicht, die ich für Gott zu erfüllen hatte.
    Als es endlich ausgestanden war, dankte ich unserem Herrn Jesus Christus und blickte auf. Der Seigneur starrte übellaunig auf den verbrannten Leichnam. Dann warf er mir einen angeekelten Blick zu, wendete sein Pferd und ritt zurück in die Stadt.
     
    *
     
    Nachdem das Feuer niedergebrannt war, stocherten die Männer des Seigneurs in der glühenden Asche herum. Sie zogen die Überreste des Leichnams mit langen Stöcken heraus, zertrümmerten die Knochen mit eisernen Stangen und verbrannten alles noch einmal, denn vom Körper eines Ketzers durfte nichts übrig bleiben, was die Erde verpesten konnte. Das letzte bisschen Asche würde später in den Wind gestreut werden.
    Außer mir gab es mittlerweile keine Zuschauer mehr. Ich harrte allerdings nicht aus einem Gefühl schauriger Befriedigung dort aus, sondern um herauszufinden, ob vielleicht ein Teil des geheimnisvollen Buches die Flammen überstanden hatte. Ich entdeckte jedoch nur ein verkohltes Stück des Ledereinbands.
    Gerade wollte ich mich enttäuscht abwenden, da sah ich durch die grauen Rauchschwaden einen Mann auf mich zukommen. Es war Anselm de Peyrolles.
    Es widerstrebte mir, ihm gegenüberzutreten. Schon allein bei seinem Anblick krampfte sich mein Magen zusammen. Das war im Grunde seltsam, denn schließlich hatte ich mich in Bezug auf unsere Inquisition keines Fehlverhaltens schuldig gemacht.
    Der einstmals so beeindruckend große, breitschultrige Steinmetz wirkte merkwürdig zusammengeschrumpft, wie eine riesige Frucht, aus der man allen Saft herausgepresst hatte. Ja, genau das war aus ihm geworden: Er war nur noch die Schale eines Mannes.
    »Guten Tag, Vater Donadieu«, begrüßte er mich.
    »Guten Tag, Anselm.«
    Er stieß einen schweren Seufzer aus. »Wie konnte nur all dieses Unheil über uns kommen? Alles, was ich in diesem Leben tun wollte, war, zur Ehre Gottes Steine zu meißeln. Für mich ist jeder Stein ein Gebet, Vater.«
    »Ihr betet gut, Anselm.«
    »Nicht gut genug.« Er blickte hinüber zum Hauptturm der Burg. »Was wird mit Madeleine geschehen?«
    »Vertraut auf Gott, Anselm.«
    »Ich hätte sie ins Kloster gehen lassen sollen. Dann wären wir nie in dieses Unglück geraten.« Langsam schlurfte er davon. Während ich hinter ihm her sah, rührte sich etwas in mir. Es war, als würde ein großer Tisch knarrend über Steinplatten gezerrt. Danach war nichts mehr wie zuvor.
     
    *
     
    Man sagt, dass es jeder Seele gut tue, zu leiden. Möge Gott mir vergeben, aber ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass Leid nur für jene bestimmt ist, die es willkommen heißen. Wenn wir es Menschen zuteil werden lassen, die gar nicht gewillt sind, das Leid anzunehmen, handeln wir wie Knaben, die den Fliegen die Flügel ausreißen.
    Einige Stunden nach der Verbrennung von Agnes suchten Vater Subillais und ich Madeleine de Peyrolles in ihrer Zelle auf. Als ich sah, wie sehr Madeleine litt, fragte ich mich, ob der Heiland dies wirklich gewollt hatte. Im Licht der Kerze betrachtete ich ihre bleiche, bis auf das Skelett abgemagerte Gestalt und hoffte, dass mein Ordensbruder

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