Die Novizin
loszuwerden: Sie warfen alles auf die Straße. Die wackligen oberen Stockwerke der Häuser ragten im spitzen Winkel über den engen Straßen in den Himmel. So war es keineswegs ungewöhnlich, im Vorbeigehen den Inhalt eines Nachttopfes auf den Kopf zu bekommen. Einmal ist sogar der Bischof auf diese Weise gesalbt worden. Der widerlichste Unrat türmte sich vor den Häusern, wo Hunde und Schweine sich um alles Essbare balgten. Ohne ein parfümiertes Taschentuch vor der Nase wagte ich mich nie hinaus.
An diesem Tag wurde der übliche Gestank durch einen warmen Nieselregen noch verstärkt. Es herrschte eine seltsam gereizte Atmosphäre. Ein Fuhrmann peitschte sein Ochsengespann durch die enge Gasse, sodass alle aus dem Weg springen mussten und selbst ein Soldat auf seinem Schlachtross beiseite gedrängt wurde. Gleich dahinter trieb ein Schäfer eine Herde schlammbespritzter Schafe vor sich her. Dergestalt waren die Ärgernisse, wenn man in einer großen Stadt lebte. Daran habe ich mich nie gewöhnt.
Ich gelangte zu einem kleinen Platz mit einem Steinkreuz in der Mitte. Hier stießen drei Straßen aufeinander. Rings herum befanden sich Geschäfte, deren schmiedeeiserne Schilder quietschend im Wind schwangen. Ich zog meine Kapuze über und eilte weiter.
Trotz des schlechten Wetters hatte sich nicht weit entfernt eine Menschenmenge versammelt, um einem Bärenkampf zuzuschauen. Ich hörte Wetten und Flüche, das Jaulen von Hunden und die verzweifelten und zugleich wütenden Laute des Bären, der um sein Leben kämpfte. Überall wälzten sich die Menschen in ihrer Sünde, und auch ich würde bald zu ihnen in die Suhle steigen. Mochte Gott mir vergeben!
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Anselm de Peyrolles führte ein gutes Leben, denn der Wochenlohn für einen Meister seiner Zunft betrug immerhin vierundzwanzig Silbersol, eine Summe, die für ein solides Steinhaus reichte und ohne Zweifel auch jeden Tag Fleisch auf seinen Tisch brachte. Er empfing mich im Wohnraum, wo die Mahlzeiten eingenommen wurden und wo auch der größte Teil des Familienlebens stattfand. Mitten im Raum gab es einen Kamin, in dem ein mir äußerst willkommenes Feuer prasselte.
Ich blickte mich genau um. Durch drei kleine, mit geöltem Leinen bespannte Fenster drang trübes Licht in das dämmrige Innere. Um die strenge Düsternis ein wenig zu aufzulockern, hatte man die Deckenbalken leuchtend rot und grün gestrichen.
Meine Gastgeber rieten mir, für eine Weile vor dem Feuer stehen zu bleiben, damit ich mich aufwärmen konnte. Dampf stieg aus meinem feuchten Umhang, und Anselms Frau brachte mir rasch einen Becher Glühwein. Die Mutter hatte sehr viel Ähnlichkeit mit ihrer Tochter, obwohl bereits graue Strähnen ihr wildes, rotes Haar durchzogen.
Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkte ich Madeleine, die still in einer Ecke saß. Sie trug ein hellgraues, eng anliegendes Oberkleid. An Hals und Handgelenken lugte ein leinenes, mit Spitze besetztes Unterkleid hervor. Ich bildete mir ein, einen schwachen Geruch nach Safran wahrzunehmen, der von der letzten Wäsche stammen musste.
Ein Schauer der Erregung und Furcht durchlief mich. Ich erinnere mich, dass ich – Heuchler, der ich bin – Gott um Beistand anflehte.
Nach einer halbherzig geführten, zähen Unterhaltung voller gezwungener Frömmigkeit ließen Anselm und seine Frau mich mit ihrer Tochter allein, die bis zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges Wort gesagt hatte.
Mir wird bewusst, dass ich ihr bei meiner Schilderung bisher nicht gerecht geworden bin. Ich habe Euch lediglich ihre körperlichen Merkmale geschildert, ohne jedoch die stille Kraft ihrer Persönlichkeit zu vermitteln. Dies lässt sich mit Folgendem vergleichen: Man kann zwar die Buntglasfenster in einer Kathedrale beschreiben, doch man kann niemandem mit Worten ihre Wirkung begreiflich machen, wenn man im Mittelschiff steht, zum Gewölbe hochblickt und das Licht von den Gaden durch sie hereinströmen sieht. Es ist, als würde man den Himmel selbst betrachten.
Wären es nur die Rundungen ihrer Brüste und Hüften gewesen, die mich in Versuchung führten, dann hätte ich ihr unter Aufbietung all meines Willens widerstehen können. Doch als ich ihr ins Gesicht blickte, lag eine Herausforderung in ihren Augen, die meinen Willen zum Widerstand brach und mich aufs Heftigste entflammte. Ich stellte mir vor, dass ein Mann eines Tages nicht nur ihren Körper, sondern auch ihr Herz erobern würde, und auf einmal drängte es mich,
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