Die Novizin
gerade das Dormitorium verlassen, das sich gegenüber der Kapelle auf der Nordseite des Klosters befand. Plötzlich wurde der Fensterladen von einer der Zellen aufgestoßen, und ich hörte eine vertraute Stimme schreien: »Hier, das ist es doch, was du willst, Monsieur le Canard!«
Die Stimme gehörte Schwester Agnes. Agnes war nackt – zumindest war der Teil ihres Körpers, den wir am Fenster sehen konnten, unbekleidet. Sie streckte Bernard ihre großen weißen Brüste entgegen wie die billigste Hure von Toulouse. Die purpurrote Narbe zwischen diesen Fleischbergen ließ Agnes wie ein Monstrum aussehen.
Agnes hob ihre Brüste mit den Händen in die Höhe wie zwei Kürbisse und rief: »Ist es das, weswegen du hierher gekommen bist, Monsieur le Canard?« Monsieur Fuchs. Man hätte es genauso gut als ›Monsieur Teufel‹ auslegen können.
Bernard erbleichte und starrte Agnes entgeistert an, während die Äbtissin nach Luft schnappte und dann die Hand vor den Mund schlug. Ich glaubte, dass sie im nächsten Moment ohnmächtig in den Schnee sinken wurde, aber sie war aus härterem Holz geschnitzt. Sie scheuchte uns in die Kapelle wie eine Entenmutter ihre Küken und schloss die Tür von außen. Das Letzte, was ich sah, war Bernard, der noch immer entsetzt zu jenem Fenster stierte, als wäre ihm dort Luzifer höchstpersönlich erschienen.
Ich habe nie erfahren, was dann geschah. Ich weiß nur, dass ich am folgenden Tag nicht die Einzige war, die das Kloster verließ. Hinter mir ritt Schwester Agnes, festgebunden an ihrem Maulesel. Ich war sicher, dass keine von uns beiden die Abtei von Beausaint jemals wieder sehen würde.
ELEONORE
Der Winter ließ die Weinstöcke knorrig und braun und den Boden dazwischen hart werden. Die Erde schlief und wartete auf den Frühling.
Einige der Rebsorten waren tausend Jahre alt. Sie stammten aus Palästina und waren in den Zeiten der Cäsaren von flüchtenden Juden hierher gebracht worden. Damals lebte unser Volk und die Juden Seite an Seite, und im Land unserer Sprache gab es blühende Städte und geschäftige Häfen – lange, bevor in Paris ein König und in Rom ein Papst herrschten. Die Juden verbreiteten die Kunst der Weinherstellung. Sie wussten, wie man Wein anbaut und Rebstöcke veredelt.
In unserem Land wurden viele verschiedene Rebstöcke eingepflanzt, ebenso wie sich viele verschiedene Völker hier niederließen. Und es waren weder die Mauren aus dem Süden noch die Juden mit ihren Geheimbüchern, die dem Papst Sorge bereiteten, sondern die Bogomilen aus dem Osten. Sie verkündeten die ketzerischen Gedanken, die der Heilige Vater so sehr fürchtete. Sie behaupteten, der Teufel habe die Welt erschaffen, und somit sei nicht Gott, sondern Satan der König der Welt. Daher entsagten sie auch allen materiellen Dingen. Sie bezeichneten die Kreuzigung als Lügengeschichte, und das Evangelium von Johannes, dem Evangelisten, war ihr heiliges Buch.
Ihre Priester erlebten eine kurze Blütezeit, wurden jedoch ein Menschenalter zuvor fast allesamt von den Soldaten des Papstes gefoltert und schließlich verbrannt. Die Priester waren paarweise über die staubigen Wege unseres Landes gezogen, hatten auf Feldern und in Scheunen gepredigt und daher auch keine Kathedralen oder Kirchen hinterlassen. Sie hatten ihre Gottesdienste abgehalten ohne den Zehnten einzufordern.
Warum waren ihre Ideen hier auf solch fruchtbaren Boden gefallen? Der Papst hatte dies mit der Gottlosigkeit der hiesigen Bevölkerung erklärt. Ich jedoch glaube vielmehr, dass neues Gedankengut in unserer Gegend schon immer prächtig gedeihen konnte. Wir nahmen es stets ebenso bereitwillig auf, wie wir die Flüchtlinge und Einwanderer aufnahmen.
*
Raymond war nach Toulouse gereist, um mit dem Bischof über die Anwesenheit des Inquisitors in Saint-Ybars zu sprechen und ihn zu bitten, den Teich der Madonna als Wunder anzuerkennen. Doch dies war ein Schachzug, der wenig Aussicht auf Erfolg hatte. Die Inquisitoren waren niemandem Rechenschaft schuldig. Sie hatten bereits in der Vergangenheit meist willkürlich gehandelt und würden auch diesmal tun, was ihnen beliebte.
Während Raymond fort war, kümmerte ich mich um das Château und die Ländereien. Raymond fand es allerdings äußerst ungewöhnlich, dass ich die Aufsicht übernahm. Offenbar beschäftigten sich die Damen im Norden ausschließlich mit ihren Webstühlen und Musikinstrumenten.
Auch die Gerichtsbarkeit unterstand mir während der Abwesenheit meines
Weitere Kostenlose Bücher