Die Novizin
Gatten. Ich rechnete nicht damit, viel mehr tun zu müssen, als einige Trunkenbolde und Diebe an den Pranger zu stellen. Mit etwas Glück würde ich zudem das Begräbnis unseres guten Vaters Subillais arrangieren, der stöhnend in seinem Schlafgemach lag und sich in nicht ganz unverdienten Qualen wand.
Gerade hatte ich die Kapelle verlassen und mich auf den Weg zur großen Halle gemacht, wo ich mich den morgendlichen Geschäften widmen wollte, als plötzlich ein Bote in den Innenhof galoppierte, von seinem Pferd sprang und vom Vorgesetzten der Wache zu mir geführt wurde. Ich wusste sofort, dass er schlechte Neuigkeiten brachte. Er musste einen wilden Ritt hinter sich haben, denn sein Gesicht und seine Kleidung waren voller Schlamm. Er hatte seine Augen vor lauter Erregung weit aufgerissen.
»Herrin, ich komme gerade aus Redaux«, stieß er atemlos hervor.
»Was ist geschehen?«
»Es geht um den Priester, um Guillaume. Er ist ermordet worden!«
Ich dachte sofort daran, dass ich noch eine Woche zuvor mit Guillaume gesprochen und bereits geahnt hatte, dass irgendeine Katastrophe bevorstand. Doch ich blieb ruhig und befahl dem Seneschall, seine Männer zu versammeln. Knapp eine Stunde später ritten wir bereits durch das Westtor ins Tal hinunter.
*
Die Kirche von Redaux war auf einer Anhöhe am nördlichen Rand des Ortes erbaut worden. Ihr quadratischer Turm ragte hoch über den ärmlichen Häusern empor. Als wir eintrafen, drängten sich die Dorfbewohner im westlichen Narthex und versuchten, einen Blick ins Innere zu erhaschen. Sie wagten sich jedoch keinen Schritt weiter hinein.
Sobald sie uns erblickten, stoben sie förmlich auseinander. Die Soldaten stiegen rasch von ihren Pferden und vertrieben die letzten Säumigen eifrig mit ihren Knütteln. Ich stieg ab, übergab mein Pferd einem Diener und betrat die Kirche. Ein starker Blutgeruch ließ mich zusammenfahren.
Im Inneren war es düster, und ich wartete einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Die Kirche selbst war nicht eben ein Sinnbild von Gottes Gnade. Der Altar mit einem hölzernem Kruzifix und einer Teaktruhe, in welcher der Priester die Altartücher und seinen Ornat aufbewahrte, war von uralten, fensterlosen Kalksteinwänden umgeben. An den Wänden hingen einige wertlose, weihrauchgeschwärzte Heiligenbilder, von denen die Farbe bereits abblätterte. Da die Kirche das einzige große und wetterfeste Gebäude des Ortes war, wurde dort das Heu für den Winter gelagert. Die Ballen bedeckten den größten Teil des Hauptschiffs.
Ich trat einen Schritt vor und verlor beinahe das Gleichgewicht, denn mein Stiefelabsatz rutschte durch eine Lache dunklen, geronnenen Blutes, die sich unmittelbar hinter dem Eingang ausbreitete. Nachdem ich wieder sicher stand, blickte ich mich um.
Guillaume hatte wohl keinen schnellen Tod erlitten. Er lag in der Nähe der Altarstufen auf dem Rücken und war regelrecht zerstückelt worden. Sein Mörder musste mehrere Male mit einem schweren Schwert geradezu auf ihn eingehackt haben. Raymond hatte mir einmal erzählt, dass es nicht so einfach war, jemanden zu töten. Ein Mann müsse schon sehr viel Blut verlieren, ehe er aufhöre zu kämpfen.
Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, dass ein Priester sich heftig zur Wehr setzen würde. Zweifellos aber hatte Guillaume sehr viel Blut verloren. Von der Tür führte eine tiefrote Spur zum Altar und mündete in eine gallertartige Blutpfütze. Einer von Guillaumes Armen lag einige Schritte von seinem Körper entfernt im Querschiff.
Das blutdurchtränkte Altartuch verdeckte den unteren Teil der schlimm zugerichteten Leiche. Vielleicht hatte Guillaume in dem verzweifelten Versuch, wieder auf die Beine zu kommen, danach gegriffen und es heruntergerissen.
Ich betrachtete den Leichnam mit unbewegter Miene. Ich war dem Tod schon zu oft begegnet, als dass mich ein solcher Anblick hätte erschüttern können.
Guillaumes Kehle war beinahe völlig durchtrennt worden. Der Mörder hatte ihm außerdem eine tiefe Wunde an der Schulter zugefügt und ihm mit einem weiteren Schwertstreich den Bauch aufgeschlitzt, sodass seine Eingeweide herausgequollen waren.
Ich wandte mich um und stellte fest, dass der Seneschall hinter mir stand und mich beobachtete. »Bedeckt den Leichnam und bereitet ihn für das Begräbnis vor«, ordnete ich an.
Er eilte davon und rief seinen Männern einige Befehle zu. Ich trat hinaus an die frische Luft. Wir würden Père Michel
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