Die Novizin
erinnere mich.«
»Welch bitterer Scherz, dass es nun doch so gekommen ist.«
Ich erwartete, dass sie mich für das, was in Toulouse geschehen war, anklagen würde, denn es liegt in der Natur der Frauen, anderen die Schuld an ihrem Unglück zu geben. Aber sie ging nicht darauf ein. »Ihr seid jetzt Mitglied der Heiligen Inquisition?«, fragte sie, als sei ich ein alter Freund, den sie viele Jahre nicht gesehen hatte.
»Ich versuche, Gott auf jede erdenkliche Weise zu dienen.«
»Was führt Euch hierher?«
»Ihr wisst, warum ich hier bin.«
»Ihr hättet mich nach Toulouse beordern können.«
»Wir sind hier, um Euren Fall zu untersuchen.«
»Wir?«
»Meine Stellung ist nicht die eines Inquisitors. Diese ehrenvolle Aufgabe hat Vater Hector Subillais übernommen. Ich bin lediglich sein Vikar.«
Madeleine setzte sich auf ihr hartes, schmales Bett. Die kurzen Haare ließen sie wie ein Kind aussehen. »Und wo ist der Inquisitor?«
»Noch ehe er sein Urteil über Euer Wunder abgeben konnte, ist er am … ist er in Saint-Ybars gestürzt und hat sich schwer verletzt.«
»Ich habe nie behauptet, dass es ein Wunder war. Das sagen nur die anderen.«
»Nichtsdestotrotz hat die Geschichte in Toulouse Aufsehen erregt.«
»Das muss wohl so sein, da zwei dermaßen bedeutende Männer wie Ihr selbst und Vater Subillais unsere kleine Stadt besuchen.« Sie wirkte niedergeschlagen, ein weiblicher Samson, dem man sein Haar geschoren und damit seine Stärke genommen hat. »Wisst Ihr, was damals mit meinem Vater geschah? Er verlor seine Stellung und musste die Stadt verlassen.«
»Damit hatte ich nichts zu tun. Mein Prior war eifrig darauf bedacht, jeglichen Skandal zu verhindern.«
»Und den Preis dafür hat mein Vater bezahlt«, entgegnete sie in einem Tonfall, als trüge ich allein die Verantwortung für die damaligen Ereignisse. Sie starrte mich an, wartete womöglich auf ein Zeichen von Reue. Doch ich hatte mein Schuldbekenntnis vor Gott abgelegt und schmerzhaft für meine Sünden gebüßt – schwerer, als sie jemals ahnen würde …
»Erinnert Ihr Euch, dass ich Euch in Toulouse von meinen Visionen erzählte? Ihr nanntet sie reine Einbildung.«
»Ja, wahrscheinlich habe ich mich so ausgedrückt.«
»Ihr entsinnt Euch nicht, oder?«
Es stimmte, dass mir nur wenige Einzelheiten unserer Gespräche im Gedächtnis geblieben waren. Ihr Äußeres musste mich vollkommen geblendet haben.
»Meine Einbildung ist mir hierher gefolgt.«
»Und nun seht, in welche Lage sie Euch gebracht hat.«
»Werdet Ihr mir helfen, Vater?«, fragte sie.
Ich wusste natürlich, was sie damit meinte. Laut geltendem Gesetz konnte sie sich nur verteidigen, wenn sie den genauen Wortlaut der Vorwürfe kannte und erfuhr, wer sie beschuldigt hatte. Doch wenn ich dies für sie tat, war es, als würde ich dem Heiligen Dominik ins Gesicht spucken.
»Werdet Ihr mir sagen, wer mich verleumdet hat?«
»Ihr wisst, dass ich das nicht tun darf.«
Sie schüttelte verächtlich den Kopf. »Ja, ich weiß. Ich werde nicht noch einmal darum bitten. Mir ist bekannt, was es Euch kosten würde. Aber – warum seid Ihr dann hergekommen?«
»Seid Ihr unschuldig?«
Sie antwortete nicht. Ich wollte doch nur von ihr hören, dass sie die Anschuldigungen zurückwies, aber dazu war sie zu stolz.
»Werdet Ihr irgendjemandem von uns erzählen? Von der Vergangenheit?«, fragte ich sie.
»Ist es das, was Euch beunruhigt?«
»Ich habe meinem Prior gebeichtet, und er hat das Beichtgeheimnis bewahrt. Ich habe Buße getan. Dennoch läge es in Eurer Macht, mich noch einmal zu strafen, falls dies Euer Wunsch ist. Ich kann nicht behaupten, dass ich es nicht verdient hätte. Ihr vermögt nicht zu begreifen, wie sehr wir uns versündigt haben. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht Gott um Vergebung bitte für das, was in Toulouse zwischen uns vorgefallen ist.«
»Und wenn ich es doch erzähle?«
»Dann wird dies natürlich den Ruf unseres Ordens schädigen. Und auch meinen eigenen Ruf. Helfen wird es Euch allerdings nichts.«
Sie starrte zu Boden und schwieg. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor.
»Ich habe in Saint-Ybars Eure Eltern gesehen. Sie sind wohlauf.«
Ich fühlte mich wie ein Narr. Glaubte ich etwa, sie trösten zu können, angesichts dessen, das sie nun erwartete?
Als sie mir keine Antwort gab, wandte ich mich ab. »Ich muss gehen. Ich darf hier nicht gesehen werden.« Ich machte eine kurze Pause. »Habt Ihr wirklich die Heilige Jungfrau gesehen?«
»Ich bin
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