Die Novizin
keine Ketzerin, Bernard.«
Ich vermied es, sie anzublicken. »Habt keine Angst. Gott sieht auch die Dinge, die wir nicht erkennen.«
Ich eilte davon und fühlte mich plötzlich stark. Mir wurde klar, dass sie mich nicht ein einziges Mal berührt hatte. Ich war davon überzeugt, meine Dämonen bezwungen zu haben.
Diese Überzeugung hielt allerdings nur so lange an, bis ich den Kreuzgang zur Hälfte durchquert hatte.
*
In Toulouse, in der Stille des Skriptoriums, war es einfacher gewesen, Betrachtungen über das Übel der Häresie anzustellen. Hier in den Bergen, wo die Parfaits gelebt, gearbeitet und ihr ketzerisches Gedankengut verbreitet hatten, fiel es schwer, die Gegenwart von etwas Heiligem zu spüren.
In diesem Land der Ruinen, Legenden und Gerüchte war alles vom Pesthauch der Katharer durchdrungen. Angeblich wurde der Heilige Gral von Maria Magdalena hierher gebracht, jener Kelch, in dem das Blut aufgefangen wurde, das Christus am Kreuz vergoss. Und wie man behauptet, befindet er sich noch immer in einem Versteck irgendwo in den Bergen. Eine gotteslästerliche Geschichte, aber derlei Geschichten fallen bei den Armen und Unwissenden stets auf fruchtbaren Boden. Sie klammern sich an jede Art von Aberglauben, während sie sich nach außen hin zur Heiligen Kirche bekennen.
Mein Verlangen nach dem Mädchen, der Aberglaube, die Häresie – der Teufel hatte ein dichtes, klebriges Netz um mich geschlungen, in dem ich zu ersticken drohte.
Ich kehrte nicht gleich in meine Zelle zurück, sondern wandelte durch den Kreuzgang. Eine Eisschicht hatte sich auf dem Boden gebildet. Die Luft war so kalt, dass jeder Atemzug in der Brust wehtat und meine Zähne schmerzten. Ich ging in die Kapelle, in der es kaum wärmer war, und kniete nieder, um zu beten. Die eisigen Steine unter meinen Knien ließen mich aufstöhnen.
Ich betete: Gott vergib mir. Aber wie konnte Gott mir vergeben? Wofür sollte er mir vergeben? Schließlich hatte ich diesmal im Angesicht der Versuchung unerschütterlich zu ihm und seiner Kirche gestanden. Sollte er mir also dafür vergeben, dass ich dieses Mädchen verraten hatte, an dem ich mich einmal sündhaft befriedigte und dessen Schicksal nun in meiner Hand lag?
Warum diese Selbstbezichtigungen?, fragte ich mich. Wieso betrachtete ich mich selbst als Judas, was dieses Mädchen betraf?
Wenn ich Madeleine dabei half, sich unserer Inquisition zu entziehen, überantwortete ich ihre Seele dem Fegefeuer, ebenso wie die Seelen jener anderen, die sie mit ihrer Ketzerei anstecken würde. Sollte ich denn nur, weil ich gemeinsam mit diesem Mädchen eine Sünde begangen hatte, eine weitere, noch größere Sünde begehen? Nur um es zu schützen?
Ich hatte geglaubt, Madeleine besäße keine Macht mehr über mich. Ich hatte vermutet, dass ich ihre körperliche Schönheit zwar noch immer bewundern würde, jedoch nicht auf andere Weise als etwa eine Statue der Heiligen Jungfrau. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich sie noch immer begehren würde – dies war ein allzu grausamer Schachzug des Erzfeindes. Unser Erlöser hat gesagt: Wenn ein Mann in seinem Herzen sündigt, ist es genauso schlimm, als würde er die Sünde tatsächlich begehen.
Ich hatte nur wenige Augenblicke in Madeleines Gegenwart verbracht, und schon herrschte in meinem Herzen tiefschwarze Nacht.
Voller Selbstekel kniete ich in der dunklen Kapelle. Ich flehte Gott an, mir Frieden zu geben, den Schmerz an meinen Schläfen und das quälende Verlangen in meinen Lenden von mir zu nehmen. Ich verzweifelte schier an meiner widerspenstigen Seele. Als Mönch taugte ich nichts, doch ich taugte ebenso wenig für etwas anderes.
MADELEINE
Die Äbtissin versuchte, Schwester Agnes versteckt zu halten, so lange Vater Donadieu in unserem Kloster weilte. Beinahe wäre es ihr gelungen. Er hatte nur eine Nacht bleiben wollen, doch als ein Schneesturm von den Cevennen herbeifegte und einen weißen Schleier über das Tal breitete, war er gezwungen, eine weitere Nacht unter unserem Dach zu verbringen.
Schwester Agnes wurde in ihrer Zelle eingeschlossen. Die Äbtissin entband sie bis zur Abreise der Mönche von ihren Pflichten als Cellerarin und untersagte ihr die Teilnahme an sämtlichen Gottesdiensten in der Kapelle. Aber sie hatte nicht mit dem Einfallsreichtum der armen Agnes gerechnet.
Es war Zeit für den Gottesdienst zur Terz. Vater Donadieu und die Äbtissin schritten vor unserer kleinen Gruppe von Novizinnen durch den Kreuzgang. Wir hatten
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