Die Obamas
hatte; sie war auch nicht als Teenager Mutter geworden wie manche der jungen Frauen unter den Zuhörern. Sie radierte die Distanz zwischen sich und ihren Zuhörern aus und gab ihnen das Gefühl, eine von ihnen zu sein.
Später sagte Jocelyn Frye, die Leiterin der politischen Abteilung im Stab der First Lady und Freundin seit ihrer gemeinsamen Zeit in einer kleinen, schwarzen Frauengruppe an der Juristischen Fakultät von Harvard, dies sei die beste Rede gewesen, die sie je gehalten hatte.
»Das denkst du nur, weil ich wieder fast geheult habe«, konterte Michelle Obama.
***
Vier Tage nach der bewegenden Rede der First Lady nahm der Präsident an seinem Schreibtisch Platz. Unzählige Kameras waren auf sein ernstes Gesicht gerichtet. Angesichts der massiven Probleme, die das Abdichten des Öllecks im Golf von Mexiko immer noch bereitete, hatte er entschieden, seine Rede zur Lage der Nation nicht wie üblich von seinem Rednerpult aus zu halten, sondern sich aus dem Oval Office an die Bevölkerung zu wenden.
Intern hatte man über diese Entscheidung gestritten. Einer Rede aus dem Oval Office wurde extremes Gewicht beigemessen – eine Maßnahme, zu der man bei nationalen Katastrophen griff: der Kubakrise 1962 ; dem Absturz der Challenger-Raumfähre 1986 ; den Angriffen vom 11 . September 2001 . Im besten Fall vermittelten solche Reden Autorität
und
Intimität und bildeten gleichsam eine Brücke zwischen dem Büro des Präsidenten und den Wohnzimmern der Zuschauer.
Obama, der zum Unglück auf der Bohrinsel schon einige Statements abgegeben hatte, wusste, dass die Nation mehr von ihm erwartete. Manche Experten sprachen schon von »Obamas Katrina«, eine Anspielung auf George W. Bushs zögerliches Zupacken nach dem verheerenden Hurrikan, der 2005 über weite Teile im Südosten der USA hinweggefegt war. Bilder von Unterwasserkameras inszenierten das Ölleck als Fernseh-Spektakel, und die politischen Berater hatten inzwischen Alarm geschlagen und wollten, dass der Präsident nun alle Register zog. Nur Valerie Jarrett hatte davon abgeraten. Sie war der Meinung, dass Obama seine besten Reden vor Publikum hielt, weil er dann von der Energie und Spannung der Zuhörer profitieren konnte. »Das wird nicht gutgehen«, warnte sie die übrigen Mitarbeiter. Doch der Präsident stellte sich auf die Seite seiner politischen Berater.
Während seiner Rede gab sich Obama größte Mühe, Entschlossenheit zu demonstrieren. Die Reparatur »stelle die Grenzen der Technologie auf die Probe«, sagte er. »Bevor wir diese Herausforderung bewältigt haben, wird noch mehr Öl in den Golf fließen und noch mehr Zerstörung zur Folge haben.« Er räumte ein, dass er kurz vor dem Unglück seine Zustimmung zu weiteren Offshore-Bohrungen gegeben hatte, auf die Sicherheit dieser Technologie vertrauend. Er erwähnte nicht, dass er diesen Kompromiss nur eingegangen war, um die Zustimmung der Opposition zu seinem halbfertigen Energiegesetz zu erkaufen.
Anschließend legte er »seinen Schlachtplan« dar: die Abdichtung des Lecks; die Zahlung des Schadens durch den Verursacher British Petrol; die Einführung strengerer Vorschriften; die ökologische Wiederbelebung der Golfküste und vor allem den Erlass des neuen Energiegesetzes, das die Abhängigkeit der USA von fossilen Brennstoffen verringern würde. Zwar sei die Veränderung sowohl der amerikanischen Energieproduktion als auch des Energieverbrauchs kostspielig, sagte er, »aber wenn wir alles beim Alten lassen, sind die Kosten für unsere Wirtschaft, unsere nationale Sicherheit und unsere Umwelt bei weitem größer«. Er endete mit einem untypischen, rührseligen Hinweis auf Gott, der seine Hand über den Golf halte.
Die Rede verfehlte ihre Wirkung, darin waren sich alle Berater einig. Uneins waren sie indes über die Gründe. Einige fanden, Obama habe eigentlich nichts Neues gesagt. Eine andere Beraterin stellte die Theorie auf, die Rede sei so schwach gewesen, weil Obamas Frau sich mit den Töchtern in Kalifornien aufhielt. (»Er ist dermaßen introvertiert, dass ihn eigentlich nur die Familie aus der Reserve locken kann«, sagte sie.) David Axelrod gab später zu, dass die Wahl des Oval Office ein Fehler gewesen sei. Man habe sich von der allgemeinen Hysterie wegen des Lecks anstecken lassen, und die Rede sei »eine vertane Chance« gewesen. Keiner erwähnte den eigentümlichen Widerspruch zwischen Form und Inhalt der Rede: Eine Rede aus dem Oval Office sollte die Macht des Präsidenten
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