Die Obamas
ein offizielles Foto gebeten wurde. Würden sie 2012 immer noch das Paar sein, dem wir im Wahlkampf 2008 begegnet waren? Wie würden sie mit den Schwierigkeiten und Niederlagen umgehen, die sich bereits abzeichneten? Hatte sich die politische Unverbrauchtheit der Obamas überhaupt als Vorteil erwiesen?
Und dann war da noch etwas anderes. Die Obamas hatten nicht erst seit der Hochzeit darüber diskutiert, inwiefern man überhaupt einen politischen Wandel herbeiführen konnte, wenn man selbst Teil des Systems war, und ob sich ein Leben in der Öffentlichkeit lebenswert gestalten lasse. Die First Lady war die Bedenkenträgerin gewesen. Sie argwöhnte, dass eine Regierung kaum dauerhafte Veränderungen bewirken könne, und sie befürchtete, dass das politische Leben korrumpiere. »Ich bin nicht gerade mit großem Vertrauen in die politischen Abläufe zur Politik gekommen«, hatte sie Jahre zuvor gesagt. »Meiner Meinung nach ist die Politik nicht so angelegt, dass sie die tatsächlichen Probleme der Menschen lösen kann.« Der Präsident widersprach nicht; ja, seine Kritik an den Mächtigen war fast ebenso schonungslos. Doch mit dem für ihn typischen Selbstvertrauen dachte er, diese Hindernisse überwinden zu können. Und er war auch überzeugt davon, dass sie sich als Paar gemeinsam gegen die vergiftenden Kräfte stemmen könnten, die Michelle so fürchtete. Barack Obama versprach seinem Land, aber auch seiner Frau, dass er das scheinbar Unversöhnliche versöhnen könne – das Amerika der Demokraten mit dem der Republikaner, den Gesetzgebungsprozess mit so etwas wie hehren Zielen und ein politisches mit einem normalen Leben.
Das Weiße Haus würde diese Versprechungen auf die Probe stellen. »Die Stärken und Herausforderungen unserer Ehe ändern sich nicht, nur weil wir eine andere Adresse haben«, sagte die First Lady im Interview. Dies war für mich der erste Hinweis darauf, dass die Auseinandersetzung der Obamas mit dem System Politik nicht in der Wahlnacht 2008 geendet hatte, sondern dass sie im Weißen Haus fortgesetzt wurde, und das sogar heftiger, ausdauernder und tiefgreifender als je zuvor.
Mir wurde klar, dass es nicht genügen würde, den Einfluss zu untersuchen, den die Präsidentschaft auf das Verhältnis der Obamas zueinander ausübte. Die richtige Frage lautete vielmehr umgekehrt: Welchen Einfluss hatte ihre Partnerschaft – ihre Diskussionen, ihre Vorstellungen von sich selbst und die von beiden geteilten schwerwiegenden Vorbehalte gegenüber der Politik – auf die Präsidentschaft, auf die Rolle der First Lady und auf die Nation? In der Öffentlichkeit lächelten und winkten die beiden, aber wie reagierten sie tatsächlich auf das Weiße Haus, und welche Auswirkungen hatte dies wiederum auf uns?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, berichtete ich über sie, und deshalb schrieb ich dieses Buch. Dabei entdeckte ich die noch nicht erzählte Geschichte von Michelle Obamas tiefer Unzufriedenheit im Weißen Haus – ihre Orientierungslosigkeit in einer fremden, begrenzten neuen Welt, ihr unterkühltes Verhältnis zu vielen Beratern ihres Mannes, ihren Kampf um Einfluss innerhalb der Strukturen und den letztendlichen Umschwung. Ich stellte auch fest, dass die Berichterstattung über sie eine Möglichkeit bot, ihren schwer zu fassenden, introvertierten Mann besser zu verstehen. Michelle Obama ist seine Sparringspartnerin, sein Frühwarnsystem, seine Alpha-Unterstützerin, seine Aufpasserin – dabei nach eigenem Eingeständnis belastbarer als er selbst – und die Frau, die das Beste aus ihm herausholt. Über ihre tatsächlichen Erfahrungen im Weißen Haus Bescheid zu wissen hilft uns nicht nur, eine der einflussreichsten Frauen unserer Zeit zu verstehen; wir können auf diese Weise auch neue und grundlegende Einsichten in die Amtszeit ihres Mannes gewinnen.
Zu den seltsamsten Aspekten der Präsidentschaft gehört, dass sie so rücksichtslos ins Private eingreift. Das Weiße Haus ist alles in einem – Büro, Wohnhaus und Museum –, und diese drei Funktionen geraten ständig miteinander in Konflikt. Oft verschwinden der Präsident und die First Lady nur ein paar Zentimeter von den Augen der Öffentlichkeit entfernt hinter schlichten braunen Wandschirmen. Genauso ist es mit ihren Berufen, auch bei ihrer Ausübung lässt sich Persönliches kaum vom Politischen trennen: Bauchgefühle, Antipathien, Schwächen und Eitelkeiten, die an einem normalen Arbeitsplatz nicht weiter ins Gewicht fallen
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