Die Obamas
er recht hatte mit seiner Behauptung, die Öffentlichkeit wisse manchmal sehr wenig über ihn und seine Arbeit: Ein paar Tage nach diesem Auftritt machte ein Team von US Navy SEALs, das auf geheimen Befehl des Präsidenten handelte, Osama bin Laden ausfindig und tötete ihn.
Obama hatte nur wenigen Beratern und niemandem aus seiner Familie von den streng geheimen Plänen erzählt, an denen seit Monaten gearbeitet worden war. In den drei Tagen, nachdem er das Kommandounternehmen befohlen hatte, fuhr er mit Frau und Töchtern nach Cape Canaveral, um einen Space-Shuttle-Start zu beobachten, der jedoch abgesagt wurde, er spielte Golf und besuchte das alljährliche Galadinner des Pressekorps des Weißen Hauses. Hinterher sagte er, der schlimmste mögliche Ausgang – ein Fehlschlag der Mission und der Verlust der SEALs – habe während dieser Tage stark auf ihm gelastet, aber er hatte sich nichts anmerken lassen. Diesmal half ihm seine Introvertiertheit, seine Aufgabe zu erfüllen.
In jenem Jahr war auch Donald Trump Gast bei besagtem Korrespondentendinner, bei dem sich einmal im Jahr Medienvertreter aus Washington und Prominente versammeln und bei dem es zum guten Ton gehört, dass die Reporter und das Weiße Haus sich gegenseitig verulken. Als Obama an der Reihe war, nahm er Trump aufs Korn und veräppelte ihn in einer langen launigen Rede. Er versetzte sich in Trump hinein und gab seine Gedanken als »Boss« der Trumpschen Fernsehsendung
Celebrity Apprentice
preis. (»
Das
sind Entscheidungen, die mich die ganze Nacht wach halten würden«, sagte Obama; offenbar fand er den Unterschied zwischen den Entscheidungen, die Trump zu treffen hatte, und denen, die noch auf ihn warteten, äußerst erheiternd.) Mit seinen Scherzen erntete er lautes Gelächter im ganzen Saal, aber wie schon bei seiner Ansprache im Presseraum zuckte der ein oder andere Zuhörer innerlich zusammen: Der Mann, der gehofft hatte, die amerikanische Politik umzukrempeln, dementierte jetzt auf Verschwörungstheorien beruhende Gerüchte und veralberte einen Reality- TV -Clown.
***
Ein anderer Obama, der ernste Oberbefehlshaber, trat vierundzwanzig Stunden später vor die Kameras, um zu verkünden, dass bin Laden tot war. Jetzt hatte er wieder den trotzigen Blick nach dem Motto »Ich hab’s euch ja gesagt« in den Augen. Ganz plötzlich war
seine
Version der Präsidentschaft, die er Tag für Tag erlebte, die Außenstehenden aber fast immer verborgen blieb, für die Öffentlichkeit sichtbar. Tage später schilderte er dem Korrespondenten Steve Kroft von
60 Minutes
die Vorbereitungen und seine Entscheidungsfindung. Sein Gesichtsausdruck war kühl, hart und voller Genugtuung: Er hatte den schlimmsten Feind der USA zur Strecke gebracht und erreicht, was George W. Bush nicht gelungen war. Und er hatte seinen Landsleuten endlich vor Augen geführt, mit welch äußerst ernsten Angelegenheiten er betraut war.
Er war das ganze Frühjahr mit der geheimen Planung der Mission beschäftigt gewesen und hatte persönlich die Entscheidung gegen einen Bombenangriff und für das Kommandounternehmen getroffen, um unanfechtbare Beweise für bin Ladens Tod vorweisen zu können. Wie gewöhnlich hatte er die endgültige Entscheidung allein und über Nacht gefällt und sein Team erst am nächsten Morgen davon unterrichtet. Wie stark er in die Gesamtplanung eingebunden gewesen sei? »Ungefähr so intensiv wie bei jedem Projekt, mit dem ich befasst bin«, teilte er Kroft mit.
Im Klartext: Er hatte nichts dagegen, den Ruhm dafür einzuheimsen. »Das Präsidentenamt verlangt von einem, dass man mehrere Dinge gleichzeitig tut«, sagte er ernst auf eine Frage nach dem, was er an dem Wochenende noch unternommen habe, und dabei klang er wie jemand, der sich nach Anerkennung sehnt und versucht, die eigene Autorität zu behaupten.
Das Interview war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen Obama Außenstehenden einen Blick in die Arbeitsabläufe eines Präsidenten gewährte. Er war ein begnadeter Geschichtenerzähler, sah jeden Tag unglaubliche Dinge. Und doch war dies einer der ganz wenigen Anlässe, bei denen er der Öffentlichkeit auf spannende Weise von seinem Tun erzählte.
Die Entscheidung für den Überfall auf bin Laden sei zwar riskant gewesen – Erfolgschancen fünfundfünfzig zu fünfundvierzig, wie Obama später sagte –, doch bei weitem nicht die größte Belastung, die sein Amt mit sich gebracht habe, wie er Mitarbeitern anvertraute. Verglichen mit dem Lärm
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