Die Obamas
Geldgeber saßen. Der Schauplatz war opulent, ein makellos gepflegter Garten hinter einem riesigen Privathaus, und die Anwesenden hatten viel Verständnis für den Präsidenten: Sie wussten, was er in letzter Zeit hatte durchstehen müssen. Trotzdem machten sie sich Sorgen über seine Bilanz und seine Chancen, wiedergewählt zu werden. Sie hätten Obama gern stärker gesehen, wie Steve Cozen, einer der Geldgeber, später sagte: Er solle »sich hinstellen und dem amerikanischen Volk sagen, was er denkt, was seine Grundprinzipien sind und in welchen Punkten er keine Kompromisse eingehen wird«.
Der Präsident hatte fast eine Stunde lang Fragen beantwortet. Er hatte sich vor dem überwiegend liberalen Publikum dafür entschuldigt, dass er wegen der Kongressmehrheit der Republikaner eine nach beiden Seiten offene Haltung einnehmen musste. (Andererseits hatte er den konservativen Demokraten im Kongress nicht nur einmal versichert, er sei im Grunde seines Herzens ein Blauer.) Er beantwortete mehrere Fragen von jüdischen Spendern, die besorgt waren, weil ihrer Meinung nach das Verhältnis der Vereinigten Staaten zu Israel während Obamas Amtszeit gelitten habe. Jemand fragte nach der Nutzung von Schiefergas als Energiequelle, und der Präsident stürzte sich in eine lange, detailreiche Erklärung der damit verbundenen wissenschaftlichen und politischen Fragen. Die Anwesenden waren gehörig beeindruckt, aber einige fragten sich, warum er zehnminütige Vorlesungen über Feinheiten der Energiepolitik hielt, da doch die aktuelle Situation eindeutig anderes verlangte. Sie hatten den Eindruck, dass er aus Unsicherheit die Rolle des Musterschülers spielte und sich in technokratisches Dozieren flüchtete. Leitartikelschreiber, die sich ein paar Wochen später mit dem Präsidenten trafen, äußerten den gleichen Verdacht: Obama nutze seine Position, um allgemeinere Fragen unbeantwortet zu lassen, um Zeit zu schinden und zu mauern.
Als Obama verkündete, dass er noch eine letzte Frage beantworten werde, hob Judee von Seldeneck, die Inhaberin einer Headhunterfirma, die Hand. Sie habe ein unbehagliches Gefühl: Bei all dem Gerede über die Sicherheit Israels und über Schiefergas hätten sie ihrer Meinung nach das eigentliche Thema aus den Augen verloren. Sie habe sich nicht vorher überlegt, was sie sagen wollte, erklärte sie hinterher. Sie habe einfach drauflos geredet.
»Als Sie für das Präsidentenamt kandidierten, haben Sie hierzulande etwas wachgerufen, was ich seit Präsident Kennedy nicht mehr gesehen habe«, sagte sie und schaute Obama dabei direkt an. »Warum spielen Sie jetzt nicht die führende Rolle, die wir alle von Ihnen erwartet haben und die wir dringend brauchen?« Genau das trieb alle Anwesenden um, aber keiner hatte es auszusprechen gewagt: Was war aus dem Barack Obama von 2008 geworden?
Die anderen applaudierten.
Seine Antwort sei schwach gewesen, sagte von Seldeneck später. Der Präsident habe irritiert gewirkt und sich auf eine Äußerung zurückgezogen, die er in diesem Sommer schon häufig gemacht hatte: dass er inzwischen weiser, grauer und kampferprobter sei. Er gab die Schuld an einigen der Missstände dem Kongress und meinte, er müsse erst einmal die bevorstehenden Verhandlungen über die Schuldenobergrenze zu Ende bringen. »Noch fühle ich mich gebunden«, sagte er, und von Seldeneck fragte sich, wie er das meinte. Er gab zu, dass sein früherer Erfolg jetzt ein Mühlstein um seinen Hals sei. »Ich trete gegen den Barack Obama von 2008 an«, sagte er und schloss mit einem scheinbar unrealistischen Versprechen: »Wenn der letzte Wahlkampf Sie beeindruckt hat, dann warten Sie ab, wie der nächste wird. Der wird noch besser.«
Zurück im Weißen Haus, gestand Obama seinen Mitarbeitern, dass die Frage ihm einen Stich versetzt habe. Er verstehe, welchen Eindruck die Menschen hätten: Er fühle sich in Washington eingekerkert und versuche, seine Arbeit zu machen, aber das, was er tue, wirke auf die Menschen draußen nicht sehr überzeugend. »Ich wollte, ich könnte mehr tun«, vertraute er einem Berater an. Das Schlimmste an dem Abend sei der Applaus zum Schluss gewesen.
Als der Sommer langsam zu Ende ging, sanken Obamas Werte auf einen bis dahin unvorstellbaren Tiefpunkt. Sein Rückhalt bei den Demokraten schwand, seine Umfragewerte bröckelten, und Mitglieder seiner eigenen Partei rieten ihm dringend, seine Berater zu feuern, und zweifelten öffentlich an, er könne wiedergewählt werden. Der
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