Die Obamas
Kadett fort, und aus dem Saal ertönte das Echo.
»Auf die United States Military Academy!«, rief ein anderer.
»Auf die Damen!« Auch die weiblichen Kadetten wiederholten den Ruf; da Frauen nicht an Kampfeinsätzen von Bodentruppen teilnehmen dürfen, waren sie in der Minderzahl.
Während des Dinners zogen sich die persönlichen Mitarbeiter, die Michelle Obama nach West Point begleitet hatten, zurück, damit sie in Ruhe essen und sich mit den Würdenträgern an ihrem Tisch unterhalten konnte. Sie möge es nicht, wenn sie ständig in der Nähe blieben, hieß es von den Mitarbeitern. Und sollte sie etwas brauchen, wären ihre Bodyguards vom Secret Service zur Stelle. Nach dem Essen erklomm Michelle Obama für ihre Rede das Podium. Videoprojektoren beamten ihr Bild in die entfernten Ecken des Saals. Sie trug ein rotes Kleid und dazu Perlen – das klassische First-Lady-Outfit.
Noch nie hatte eine Präsidentengattin vor West-Point-Absolventen gesprochen; ihre Einladung hatte bei ihnen und besonders bei ihren Eltern einige Unruhe hervorgerufen. Militärs waren eingeschworene Anhänger der Republikaner, und sie fragten sich im Stillen, ob Michelle Obama hier nicht fehl am Platz sei und ob sie etwa eine politische Botschaft verkünden werde.
Doch sie tat nichts dergleichen. Sie hielt eine förmliche, respektvolle, zurückhaltende Rede, bei der kein Funke übersprang wie etwa bei ihrer Rede vor Absolventen der Anacostia High School. Sie erwähnte das schreckliche Trompetensignal, das jedes Mal über den Campus schallte, wenn ein Absolvent im Kampf gefallen war. Viele der jungen Menschen, die vor ihr saßen, würden im folgenden Jahr im Ausland im Einsatz sein, und sie sprach mit leiser Stimme von Pflichterfüllung und Opferbereitschaft. Die Herausforderungen, denen sich die Soldaten im Krieg würden stellen müssen, beträfen auch ihre Familien. Die jungen Offiziere in spe würden für ihre Leute da sein müssen, wenn diese sich über die Geburt eines Kindes freuten und traurig waren, weil sie nicht hatten dabei sein können; wenn sie in einer familiären Krise steckten; wenn sie sich um ihre Frauen und Kinder in der Heimat sorgten. »Und so wie jeder einzelne Soldat, so brauchen auch die Familien Ihre Führung und Unterstützung«, sagte sie, »denn auch sie bringen Opfer und dienen unserer Nation an der Seite aller, die unsere Uniform tragen.« Kampfeinsatz und Privates seien untrennbar miteinander verknüpft.
Als sie zum Schluss kam, tat die Michelle Obama des Frühsommers 2011 etwas, das die Michelle Obama des Winters 2009 erstaunt hätte: Sie reihte sich ein in die lange Kette der amerikanischen First Ladies und ging dafür zurück bis zur Staatsgründung der USA . Die First Lady, die sich nie mit anderen First Ladies identifiziert hatte, erzählte von Martha Washington. Als sich George im Jahr 1775 von seiner Frau Martha verabschiedete, um im Unabhängigkeitskrieg das Kommando der Kontinentalarmee zu übernehmen, habe er im Begriff gestanden, »die Weichen zu stellen für den Weg der Freiheit. Für unser Land und für die Welt«, sagte Michelle, doch er habe nur eines hören wollen: dass seine Frau zu Hause auf der Farm allein zurechtkam. »Er bat sie, stark zu sein«, sagte sie und zitierte aus einem seiner Briefe: »Nichts kann mir mehr aufrichtige Befriedigung bereiten, als dies zu hören, es aus Deiner eigenen Feder zu erfahren.«
Es war nicht weiter verwunderlich, dass Michelle Obama sich mit dieser Geschichte identifizierte. Auch ihr Mann führte einen Krieg, er war weit von einem Sieg entfernt, und dass sie als First Lady endlich ihr inneres Gleichgewicht gefunden hatte, dass sie sich behauptet hatte und auf unerwartete Weise sogar begann aufzublühen, war ein weitgehend unbemerkt gebliebener, aber entscheidender Fortschritt.
Hinterher äußerten sich selbst Eltern, die anfangs skeptisch gewesen waren, anerkennend über die Rede. Sie habe »Klasse« gehabt, meinten einige, als sie gemeinsam zu ihren Autos zurückgingen. Es klang ein wenig überrascht, so als hätten sie etwas anderes erwartet. Und wenn es auch nur für diesen Abend gewesen sein mochte – die First Lady hatte Eindruck gemacht.
Kapitel 16: Wofür wir angetreten sind
April – August 2011
A m Abend des letzten Junitages 2011 stellte sich Barack Obama der entscheidenden Frage, die ihn noch den ganzen Sommer umtreiben sollte.
Er stand unter einem Zeltdach in Philadelphia, umgeben von Tischen, an denen mehrere Dutzend wichtige
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